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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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Moment kann sie losfliegen und wilde Loopings drehen. Schließlich wischt sie sich ihre blonden Locken aus dem Gesicht und sieht zu uns rüber. Ich bin sicher, in diesem Augenblick kann man uns alle drei schlucken hören.
    »Hätte nie gedacht, dass Scarlett Johansson per Anhalter fährt«, sagt Marc.
    Sie sieht uns an, als müsste sie einen Freistoß treten, und wir seien die Mauer.
    »Woher willst du denn wissen, dass sie eine Tramperin ist?«, fragt Bernhard.
    Sie klaubt ihre Tasche und ihren Rucksack auf, den sie kaum schultern kann, schleppt beides zu uns herüber, lässt ihr Zeug ins Gras fallen und sich auf eine Bank. Wir bewegen uns keinen Millimeter.
    Schließlich legt sie ihren Arm auf die Lehne und dreht sich zu uns um. »Was?«
    |36| Wissen wir offenbar auch nicht. Jedenfalls sagt keiner etwas. Schließlich fragt Bernhard: »Wer war’n das?«
    Die Frau mustert uns und beginnt zu schmunzeln: »Rührt euch!«
    Wir vergrößern den Abstand zwischen uns um einige Zentimeter, und Bernhard wiederholt: »Wer war’n das jetzt? Hat der dich beim Trampen mitgenommen?«
    »Meinst du den Mensch gewordenen Samenstrang?«, fragt sie. »Franco. Wollte mich unbedingt mitnehmen.«
    »Siehste«, sagt Bernhard zu Marc, »hab gleich gesagt: Die ist keine Tramperin.«
    Marc hat nur noch Augen und Ohren für Scarlett. »Wo wolltest du denn hin?«
    Sie dreht ihren Oberkörper, damit wir ihr Tank-Top besser sehen können und sie sich den Hals nicht verrenken muss. »Nach Genf, zu meiner Schwester.«
    »Aber ohne Amore«, sagt Marc.
    Scarletts sinnliche Lippen werden schmal wie Heftklammern. »Auf jeden Fall nicht mit Franco.«
    »Und warum nicht?« Bernhard klingt, als sollten sich Frauen grundsätzlich glücklich schätzen, wenn Männer was von ihnen wollen. So stellt er sich das Paradies vor: Frauen, die ihm dankbar sind, weil er mit ihnen »Amore« macht.
    »Ist das dein Ernst?«, fragt sie.
    Bernhard zieht die Schultern hoch. »Ich meine – hey – warum nicht?«
    »Wie heißt du eigentlich?«, will Marc wissen.
    Sie schirmt mit der Hand die Augen ab: »Lilith. Und ihr?«
    »Marc.«
    »Bernhard.«
    »Felix.«
    »Also Bernhard, dann pass mal auf: Grob geschätzt gibt es eine
Million
Gründe, weshalb ich mit Franco niemals in die Kiste steigen würde. Einer davon – und das ist nicht mal der gewichtigste – ist: Ich steh nicht auf Männer.«
    Marc, Bernhard und ich sehen aus, als warteten wir auf den Applaus und keiner klatscht.
    |37| »Worauf denn sonst?«, fragt Bernhard.
    »Staubsauger«, antwortet Marc, und bevor Bernhard etwas erwidern kann: »Du kapierst aber auch gar nichts.«
    »Sie steht auf Frauen«, kläre ich ihn auf.
    Lilith genießt die Nachwirkung dieser Information, dreht ihr Gesicht in die Sonne, greift sich an die Stirn und sagt: »Scheiße.«
    »Was denn?«, will Bernhard wissen.
    »Meine Sonnenbrille ist gerade auf dem Weg nach Rom. Und außerdem ist diese Bank total schmierig.«
    »Ach übrigens«, sagt Bernhard, »Genf liegt auf unserem Weg.«
     
    Von jetzt an fahre ich. Habe mich sowieso schon gefragt, wann Marc mir die Schlüssel überantworten würde. Er fährt nicht gerne. Hat mit seinem Fuß zu tun. Ihm ist mal eine Sehne durchtrennt worden. Von einer Revolverkugel. Seitdem macht er beim Gehen mit dem rechten Bein eine unauffällige Schlenkerbewegung und kann feinmotorisch nicht mehr zuverlässig dosieren, was dazu führt, dass auf der Bühne sein Effektgerät manchmal verrückt spielt und er beim Fahren gelegentlich ruckartig beschleunigt oder abrupt bremst.
    Zum ersten Mal sitze ich in Fahrtrichtung und sehe, was auf uns zukommt: Licht und Weite und Veränderung. Marc spukt immer noch die musikalische Idee von heute Morgen im Kopf herum, und wenn er sie nicht bald zu fassen bekommt, entschwindet sie für immer im Universum. Er teilt sich mit Bernhard die Rückbank, die Gitarre auf dem Oberschenkel, und versucht, seiner Phantasie Fesseln anzulegen, ohne ihr die Flügel zu stutzen. Bernhard weiß nicht recht, was er mit sich anfangen soll. Lilith sitzt neben mir, den Rücken zur Fahrtrichtung, und beobachtet die beiden. Die Sonne scheint senkrecht durch das Schiebedach, legt sich auf ihre Schultern und kitzelt ihr Dekolleté.
    Irgendwann schnauft sie und sagt: »Ihr seid vielleicht ein komisches Trio.«
    Marc hält die Saiten gedrückt, lässt den Akkord ausklingen und blickt zu ihr auf. Auch Bernhard sieht sie an. Und weil sonst keiner etwas sagt, frage ich:
    »Was ist eigentlich

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