Nächsten Sommer
passiert?«
|38| Wieder schnauft sie. »Hat einer von euch eine Zigarette für mich?«
Sie fängt die Packung, die Marc ihr zuwirft, beiläufig auf und schüttelt sich eine Zigarette heraus.
»Eigentlich hab ich aufgehört«, sagt sie. Dann zieht sie den Rauch in die Lungen, als sei das die dümmste Entscheidung ihres Lebens gewesen.
»Auch eine?« Sie hält mir die Packung hin.
Ich mache ein Nein-Danke-Gesicht.
»Du rauchst nicht?«
Ich schüttle den Kopf.
Lilith zieht und lässt sich in den Sitz fallen. »Tut gut«, stellt sie fest.
»Warum hast du wieder angefangen?«, frage ich.
Sie betrachtet die Zigarette zwischen ihren Fingern: »Wie kommst du darauf, dass ich wieder angefangen habe?«
»War nur so ’ne Idee.«
Sie sieht aus dem Fenster. Rechts zieht Alsfeld an uns vorbei – ein liebenswertes Städtchen mit liebenswerten Einwohnern und einem Turm in der Mitte. Jedes Jahr zur Adventszeit versammelt sich der Posaunenchor auf dem Turm und verkündet die frohe Botschaft, dass wieder ein Jahr geschafft ist. Als die Stadt hinter einem Hügel verschwindet, drückt Lilith die Zigarette aus, setzt sich quer zur Fahrtrichtung, zieht die Knie an die Brust, stellt die Füße auf die Sitzfläche und lehnt sich gegen das Seitenfenster. Ihre rot lackierten Zehnägel blitzen in der Sonne.
Sie sieht mich an. »Also gut.«
|39| 7
Lilith hat gerade das Semester geschmissen. Eigentlich studiert sie Geobotanik, in Hannover, aber eigentlich hat sie ja auch mit dem Rauchen aufgehört. Keine Ahnung, ob sie weitermacht – mit dem Studium, nicht mit dem Rauchen. Das ist nur vorübergehend. Wenn ja, auf jeden Fall nicht in Hannover. Sie wollte eigentlich nicht in Hannover studieren – schon wieder eigentlich. Wer will schon nach Hannover, in eine Stadt, so spannend wie ein Reihenhaus?
Zwei Jahre ist das jetzt her. Lilith hatte ihr Abi gemacht, die Welt bereist, in Neuseeland Kiwis und in Chile Weintrauben geerntet, hatte einige Herzen gebrochen, ein paar Mal auch ihr eigenes, hatte in Australien ihre ersten Wellen gestanden und war mit einer Amerikanerin namens Megan im Himalaya bis auf 7300 Meter geklettert, ohne Sauerstoff. Und da war noch eine Menge Platz nach oben. Irgendwann bewarb sie sich für einen Studienplatz und bekam ihn in der größten Reihenhaussiedlung der Welt.
»Hannover«, schließt Bernhard.
»Messerscharf, der Junge.«
Lilith war also alles andere als begeistert. Dann ging das Semester los, »Einführung in die Gewässerökologie«, die Professorin betrat den Hörsaal, und Lilith zog es den Boden unter den Füßen weg.
Drei Tage später verirrten sich Laura, so der Name der Professorin, und eine Freundin in die Bar, in der Lilith bediente. Lilith hätte die Cocktailgläser um ein Haar neben der Tischplatte abgestellt. Am nächsten Abend war Laura wieder da. Ohne Freundin. Und ging. Mit Lilith. Sie war zwölf Jahre älter als Lilith, 38, doch das machte nichts. Sie war die Erfüllung aller Sehnsüchte, die Lilith je gehabt hatte. Sie war schön, sie war schlau, sie war sinnlich. Ja, sensibel war sie auch, und im Bett … Scheiße, ich darf gar nicht daran denken. Lilith hätte sie nicht einmal zu träumen gewagt.
|40| Nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht erwachte Lilith in Lauras Bett, während Laura im Morgenmantel vor dem Fenster stand. Die Sonne schien durch den Spalt zwischen den Gardinen. Laura leuchtete wie ein göttliches Versprechen. Lilith fühlte sich, als liege ihr die Welt zu Füßen. 7300 Meter waren nichts dagegen.
»Ich hatte noch nie was mit einer Studentin«, erklärte Laura entschuldigend. Offenbar wollte sie Absolution für ihr schändliches Tun.
Lilith hatte anderes im Kopf. »Ich hatte noch nie was mit einer Professorin«, gab sie zurück. »Und jetzt zieh den Vorhang zu und komm ins Bett. Ich hab gerade erst angefangen.«
Drei Semester glaubte sich Lilith in einem Märchen. Okay, die Heimlichtuerei ging ihr irgendwann auf die Nerven. Was am Anfang noch spannend war – verbotene Liebe, uuh-huuu! –, wurde später zäh. An der Uni durfte niemand von ihnen wissen. Was für ein Witz. Wo ihr nach zwei Monaten sogar die komplett verschnarchte Bibliotheksgehilfin schon wissende Blicke zugeworfen hatte. Trotzdem wollte Laura auf jeden Fall den »Schein wahren« – etwas, das Lilith so dringend brauchte wie ein Loch im Kopf. Wann immer sie ausgehen wollten, ins Kino oder Theater, oder auch nur, um einen Kaffee zu trinken, mussten sie halbe Weltreisen unternehmen, und selbst
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