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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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verlassen bei Manosque die Autobahn, um im Schatten einer Platane auf einem versteckten Platz in der Innenstadt ein Eis zu essen.
    Von hier aus geht es auf der Landstraße weiter. Und plötzlich, nach einem mühevollen Anstieg auf gewundenen Straßen, liegt sie wieder vor ihnen: die Hochebene. Weite, Licht, die Farben der Provence.
     
    Jeanne sitzt mit dem Rücken in Fahrtrichtung, deshalb sieht Marc ihn als erster: Jesus. Mit hängenden Lidern blinzelt er in die Abendsonne, die seine staubige Dornenkrone als gezackten Schatten auf das Holz wirft. Marc lässt den Bus ausrollen und |234| bringt ihn an der Weggabelung zum Stehen. Die Farbe ist zu großen Teilen abgeplatzt, Jesus Lendenschurz ausgeblichen. Das Kreuz ist leicht nach vorne geneigt, als könne es jeden Moment auf den Bus stürzen. Dann würde Jesus mit seinen ausgebreiteten Armen auf der Windschutzscheibe kleben, Auge in Auge mit Marc, auf den Lippen die alles entscheidende Frage: rechts oder links?
    Marc entscheidet sich für den Weg, der um Pui herumführt. Aus der Entfernung sieht er den Kirchturm mit dem Stahlskelett, das die Glocke hält, die abschüssige Wiese mit den Olivenbäumen, auf der sie übernachtet haben, die alte Waschstelle mit den steinernen Trögen.
    Nachdem sie das Dorf umfahren haben, treffen sie wieder auf die Landstraße. Jeanne nimmt ihre Hand von Marcs Oberschenkel. Durch das Loch in der Heckscheibe sieht sie ihr Dorf wie durch eine Linse. Etwas stimmt nicht. Sie haben den Abzweig nach Saint-Jurs erreicht, als Marc rechts ran fährt. Unter den Reifen knirscht Kies, dann wird es ruhig.
    »Was ist?«, fragt er, dabei weiß er es bereits.
    Jeanne kaut auf ihrem Daumennagel.
    »Du willst zurück?«
    Jeanne zieht die Schultern hoch.
    »Ist nicht dein Ernst?«
    Jeanne würde es gerne erklären. Doch was könnte sie sagen? Dass sie sich wie ein Tier fühlt, das sein gesamtes Leben in Gefangenschaft verbracht hat und jetzt lieber im geöffneten Käfig sitzen bleibt, als sich den Herausforderungen der Freiheit zu stellen? Marc würde es nicht verstehen. Er weiß nicht, wie das ist.
    »Aber warum?«, will Marc wissen. Einfach so lässt er sie nicht gehen. »Sieh mich an, Jeanne: Warum?«
    Jeanne sieht ihn an: Er hat ein Herz, so groß wie das eines Elefanten – Lebenshunger, Abenteuerlust, mehr Zärtlichkeit, als man vermuten würde. Und er hat sie davon kosten lassen, reichlich. So viel, dass sie Angst davor bekam. Und Musik, viel, viel Musik.
    »Er braucht mich«, sagt Jeanne.
    |235| »Was dieser Typ braucht, ist eine Lobotomie.«
    »Aber er liebt mich.«
    »Liebe geht anders.«
    Jeanne zieht nur wieder die Schultern hoch. »Auf seine Weise …«
    »Aber er behandelt dich wie … Liebe geht anders.«
    Die Traurigkeit kehrt in ihr Gesicht zurück, diese unwiderstehliche Traurigkeit, die Marc vor drei Tagen die Füße weggezogen hat.
    »Er ist nicht immer gut zu mir. Aber er braucht mich.«
    »Es ist dir egal, wie er dich behandelt, Hauptsache, er braucht dich?« Das glaube ich nicht, denkt Marc und weiß doch, dass es nichts gibt, was er noch tun kann. Er sieht es in Jeannes Augen, die bereits Abschied genommen haben, von ihm, Marc, und von all dem, was hinter den Bergen auf sie gewartet hätte, die weit in der Ferne den Horizont begrenzen.
    »Ich habe unser Lied noch nicht fertig«, sagt er.
    Einmal noch ist sie ganz bei ihm. »Ist vielleicht besser so.«
    »Aber er will dich doch nur besitzen, verdammt!«
    »Ich glaube«, und damit wendet sich ihr Blick für immer von ihm ab, »ich will jemanden, der mich besitzen will.«
    Sie greift sich ihre Tasche, stellt sie auf den Oberschenkeln ab und hält sich daran fest. In 1500 Metern Höhe fliegt ein in der Sonne glänzender Airbus über sie hinweg, einen weißen Kondensstreifen hinter sich herziehend. Jeanne öffnet die Schiebetür.
    »Nächsten Sommer«, sagt Marc. »Du hast es versprochen.«
    »Oui«, antwortet Jeanne und lächelt, »das habe ich.«
    Und dann sieht Marc sie im Rückspiegel, hundertfach gebrochen, wie sie ins Dorf zurückhumpelt, die Tasche von ihrer Hand baumelnd, Zoes goldene Chanel-Schläppchen an den Füßen, die funkeln, als sei das alles, was zählt. Und so kehrt Jeanne, während Bernhard und Lilith hoch über ihr einer unsicheren Zukunft entgegenfliegen, mit der Tasche in der Hand in ihr altes Leben zurück.
    Marc wartet. Bis Jeanne nicht mehr zu sehen und das Flugzeug hinter den Bergen verschwunden ist. Er dreht sich einen Joint und zieht die Kisten mit den CDs

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