Nächsten Sommer
auf ihrem Gesicht gesehen zu haben. Dann ist die Reihe an Lilith.
»Das ist übrigens Lilith«, sagt Marc. »Lilith, das ist Zoe.«
Lilith mustert Zoe, als wolle sie sagen: genau meine Kragenweite. Zoe starrt derweil Liliths T-Shirt an.
»Lilith behauptet, lesbisch zu sein«, wirft Bernhard ein.
Lilith lächelt. Zum ersten Mal erlebe ich sie in Verlegenheit. Aber nicht lange.
»Was auch passiert ist«, begrüßt sie Zoe, »ich bin auf deiner Seite.«
Auf dem Weg zum Bus erklärt Bernhard, was passiert ist, weshalb wir Lilith im Gepäck haben: Dass wir völlig sinnlos auf diesen Felsen raufgekraxelt sind, und als wir runterkamen, stand da dieser Maserati, die Tür flog auf, Lilith stieg aus und schrie: »Amore am Arsch, du Wichser!«
»Da mussten wir sie natürlich mitnehmen«, schließt er.
Zoe wendet sich Lilith zu. Das hätte sie gestern Morgen gerne mit Ludger gemacht, ihm »Amore am Arsch, du Wichser!« zugerufen.
»Glückwunsch!«, sagt sie und bekommt zum Dank Liliths strahlendstes Lächeln.
Wir steigen ein. Marc sitzt neben mir, Lilith zwischen Bernhard und Zoe auf der Rückbank.
»Ich weiß nicht, ob ich es schon gesagt habe …« Lilith blickt von einem zum anderen. »Danke, dass ihr mich mitnehmt.«
»Gilt auch für mich«, ergänzt Zoe und wirft ein Lächeln in die Runde.
Bernhard findet es selbst kindisch, wie sehr es ihn mit Stolz |65| erfüllt, dass Zoe jetzt doch mit uns nach Frankreich fährt, statt mit Ludger zu dieser Konferenz zu fliegen. Er würde da gerne drüberstehen. Tut er aber nicht. Was soll’s. Steht er eben nicht drüber. Fakt ist: Als es Zoe gestern dreckig ging, rief sie
ihn
an, Bernhard, und jetzt sitzen sie gemeinsam in Marcs Bus, auf dem Weg ans Meer.
»Ist doch selbstverständlich«, sagt er stellvertretend für uns alle, und zu Marc: »Kannst du nicht eine CD einlegen – irgendwas … Stimmungsvolles.«
Als wir das Parkhaus verlassen, rückt der Minutenzeiger auf der Uhr neben der Schranke auf die Zwölf vor. High Noon. Die Sonne zieht mir die Haut zusammen. Am Horizont haben sich ein paar träge Schweizer Wolken versammelt. Der Rest ist ein endloses Blau, zum Greifen nah. Marc hat eine CD ausgewählt. Während wir uns gen Frankreich wenden, besingt Jack Johnson mit sanfter Stimme den Tag, an dem er
sein
Fahrrad heimlich an
ihres
kettete, damit sie nach der Schule nicht ohne ihn wegfahren konnte. Noch heute, mehr als zehn Jahre später, sind sie ein glückliches Paar. Stimmungsvoller geht es nicht.
Bis zur Autobahnauffahrt kann Bernhard noch an sich halten, doch kaum habe ich den vierten Gang eingelegt, bricht es aus ihm heraus: »Was ist eigentlich passiert, Zoe?«
Zoe blickt aus dem Fenster. Sie möchte nicht darüber reden, was geschehen ist. Nicht, weil wir es nicht wissen sollen, sondern weil dann nur alles wieder hochkocht: gestern und vorgestern und die letzten anderthalb Jahre gleich mit.
»Ludger ist …«, setzt sie an, doch dann schiebt sie den Gedanken mit beiden Händen von sich weg. »Ach, ich weiß auch nicht, was er ist.«
|66| 13
Eifersüchtig ist er, so viel scheint klar. Als Zoe ihn nach dem Fußballspiel anrief, um ihm zu sagen, dass sie kurzfristig mit uns, ihren alten Freunden, nach Südfrankreich fahren werde, da konnte er schlecht Einwände erheben. Seine Frau stand neben ihm, außerdem hielt er gerade Smalltalk mit einem wichtigen Mandanten. Doch die Vorstellung brannte ihm unter den Nägeln. Sobald sich die Gelegenheit ergab, rief er zurück und verlangte von Zoe, auf die Reise zu verzichten. Stattdessen solle sie ihn auf die Konferenz begleiten, nach Chicago, drei Tage, nur sie und er. Er könne auch noch zwei dranhängen: fünf Sterne, Essen ans Bett. Tagsüber dekadenter Luxus, abends ins Konzert, nachts der Ritt durchs Paradies. Echtes Commitment, fünf ganze Tage. Also hatte sie ihre alten Freunde, ihr voriges Leben, ziehen lassen. Sorry.
Als sie am nächsten Morgen in die Kanzlei kam, fragte sie bei Ludgers Sekretärin nach, ob ihr Flug nach Chicago bereits gebucht sei, und bekam zur Antwort, dass bis jetzt nur die Buchungsbestätigungen für Ludger, seine Frau und die Kinder vorlägen. Und zwar seit gestern. Der Sekretärin sprang die Schadenfreude förmlich aus dem Gesicht. Ludger hatte Zoe das Blaue vom Himmel versprochen, obwohl er bereits Flüge für seine Frau und die Kinder hatte buchen lassen.
Zoe stürmte sein Büro und bekam kein Wort heraus. »Jetzt beruhig dich mal«, beschwichtigte Ludger und kratzte sich mit
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