Nächsten Sommer
»Was bist du nur für ein Idiot«, sagte Vater, und dann musste ich mich so hinstellen, dass alle es sehen konnten.
Der Verkehr wird dichter und kollabiert schließlich. Die Wolken drücken die Hitze auf den Boden, auf die Autobahn und direkt in den Bus, der mit hängender Zunge in den aufgeweichten Teer sinkt. Wir lassen die Fenster herunter und ziehen die Schiebetür auf, doch es hilft nichts. Wir stehen, die Luft steht, auf der Standspur stehen Menschen mit durchgeschwitzten T-Shirts. Eine Frau hält ihre kleine Tochter mit angewinkelten Beinen vor den Bauch, die im hohen Bogen in die Senke neben der Fahrbahn pinkelt. Andere recken die Köpfe, um zu sehen, wann es endlich weitergeht.
»Erinnert mich an die Geschichte mit Ramona«, wirft Marc in die Runde, und es ist unklar, was genau ihn daran erinnert.
»Die aus der Schule, die zwei Stufen über uns war?«, fragt Bernhard sofort.
»Eine Stufe«, antwortet Marc.
»Doch nicht die Tennis-Ramona?«, fragt Zoe.
»Genau die. Erinnert ihr euch noch?«
»Allerdings«, sagt Bernhard.
»Klar erinnere ich mich«, sagt Zoe. »Die ist inzwischen Moderatorin bei MTV!«
»Kann sein. Mit Ramona jedenfalls hab ich eine echt krasse Geschichte erlebt. Damals hab ich’s nicht kapiert, aber später ist mir klargeworden, dass es ein Gleichnis ist, eine … Felix, wie heißt das?«
»Parabel«, sage ich.
»Parabel, genau. Und ich mittendrin, in der Parabel.«
Ich stelle den Motor ab, Marc baut einen Joint, Bernhard macht an der Dachreling zwei Dutzend Klimmzüge, Zoe und Lilith legen wie auf ein Zeichen die Beine hoch. Und dann erzählt Marc die Geschichte von dem Urlaub mit Ramona und ihren Eltern.
|72| 14
Die halbe Schule war hinter Ramona her. Ihr Vater besaß eine pharmazeutische Firma, hatte mit einem Medikament Millionen gescheffelt und ließ seine einzige Tochter jeden Morgen von einem Angestellten namens Karl-Heinz in einem schwarzen Jaguar vor dem Schultor absetzen. Einerseits verachtete Marc sie natürlich für ihren Jaguar, andererseits hätte er selbst gerne dringesessen. Damals war er noch so drauf.
Um auf die wichtigen Dingen zu sprechen zu kommen: Vom vielen Tennisspielen hatte Ramona den festesten Hintern der Oberstufe, wahrscheinlich sogar der Welt. Der Tennisclub lag ihr und ihrem Hintern zu Füßen. Viermal die Woche, wann immer Ramona trainierte, füllte sich 15 Minuten vor Trainingsbeginn die Terrasse des Clubs. Die Plätze mit der besten Aussicht waren sogar schon eine halbe Stunde vorher vergeben. Es sah toll aus, wenn Ramona mit schweißglänzender Stirn und gegrätschten Beinen im Sand rutschte, und wenn sie beim Aufschlag diese Mischung aus Seufzer und Schrei ausstieß, erstarrte alles Leben auf der Terrasse. Aber genügte das? Marc spielte nicht einmal Tennis und würde es auch nicht lernen.
Trotzdem eroberte er sie. Bereits damals war er ein Paradiesvogel, hatte die Schule geschmissen und spielte Gitarre wie sonst niemand. In der Folge seiner Eroberung stellte er fest, dass sich hinter Ramonas Upperclass-Etikette ein Sexhunger verbarg, den er bis dahin nur aus Filmen kannte, die man nicht im Kino zu sehen bekam. Unter diesen Umständen ließ sich auch die langweiligste Beziehung ertragen.
»Stellt euch vor: Die war nymphoman!«
Bernhard muss trocken schlucken. »Bestimmt ist sie es immer noch.«
Ramonas Eltern unternahmen jedes Jahr einen mehrwöchigen Segeltörn auf der Familienyacht. Im Sommer nach Ramonas Abi |73| durfte Marc mitkommen. Die Eltern, die ihre Tochter für eine Perle der Tugendhaftigkeit hielten, wiesen ihnen getrennte Kajüten zu – diametral entgegengesetzt – und erstickten so jede Chance auf auch nur den flüchtigsten Sex, von den Schweinereien, die Marc und Ramona im Kopf hatten, ganz zu schweigen. Tagelang saßen die beiden an Deck, hielten artig Händchen und schipperten von einer griechischen Insel zur nächsten, bis Marc dachte, dass nicht nur ganz Griechenland, sondern auch sein Unterleib aus antiken Trümmern bestand. Zwischendrin sickerte die Erkenntnis durch, dass Ramona und er sich nicht viel zu sagen hatten und auch nie haben würden. Zu allem Unglück hatte er nicht mal eine Gitarre dabei.
Nach ungefähr zwanzig Jahren erreichten sie eine kleine Insel, auf der es nichts zu besichtigen gab. Ramonas Augen leuchteten auf, und bevor der Anker den Grund berührte und ihre Eltern Einwände erheben konnten, verkündete sie: »Wir gehen mal die Insel erkunden«, nahm Marc an der Hand und sprang mit ihm von
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