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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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dem kleinen Finger an der Nasenwurzel – ein Tick von ihm. »Alles halb so wild, Zuckerschnecke.« Er nannte sie tatsächlich Zuckerschnecke. In anderthalb Jahren hatte sie ihm das nicht abgewöhnen können. Das mit seiner Frau und den Kindern sei nun einmal nicht zu ändern, erklärte er, aber Zoe könne ja trotzdem mitfliegen, inkognito sozusagen, sich im selben Hotel ein anderes Zimmer nehmen und sich dort für ihn bereithalten. Die Kosten werde selbstverständlich er tragen.
    |67| Noch in seinem Büro stehend, hatte Zoe trotz aller ohnmächtiger Wut und Enttäuschung einen Moment seltener Klarheit erlebt: Sie war nie etwas anderes für ihn gewesen als … Ja, was eigentlich? Stand-by-Geliebte? Wie auch immer: Sollte er jemals seine Frau verlassen, dann ganz sicher nicht ihretwegen.
    In der Mittagspause ging sie zum Arzt, der sie sofort krankschrieb, den Rest des Nachmittags verbrachte sie in einem Tränenbad, abends rief sie Bernhard an und buchte den Flug nach Genf, noch während sie miteinander telefonierten.
     
    »Egomane«, sagt Lilith.
    »Was?«, fragt Zoe.
    »Dein Ludger. Du weißt nicht, was er ist? Ich sag’s dir – ein eifersüchtiger, habgieriger Alphamännchenkontrollfreakegomane.«
    Zoe pflückt unsichtbare Fusseln von ihrem Rock. Sie weiß, dass er das ist, und sie weiß es nicht erst seit gestern – auch wenn sie ungerne darüber nachdenkt, weil es einen Schatten auf sie wirft, dass sie ausgerechnet von so einem nicht ablassen kann. Aber so ist es eben. Es ändert nichts. Sie will ihn, Egomane hin oder her.
    »Du willst den dicksten Fisch im Teich«, stellt Lilith fest.
    Zoe nistet sich in ihrem Schweigen ein. Ja, sie will den dicksten Fisch im Teich. Und ja, wahrscheinlich will sie ihn vor allem deshalb – weil er der dickste ist.
    Bernhard ist seit einigen Minuten damit beschäftigt, sich seinen eingerissenen Daumennagel abzupulen. Dabei reißt ein Stück Haut ab, und das Nagelbett füllt sich mit Blut.
    »Mist«, sagt er und beobachtet, wie das Blut langsam seinen Nagel überzieht.
    Dabei wird er selbst immer blasser. Blut ist nicht sein Ding. Ein Gefühl wie beim Arzt, wenn der vor einem sitzt und die Spritze aufzieht. Schließlich wickelt er sich ein Taschentuch um den Daumen.
    »War noch nie anders«, sagt Marc. »Schon bei den Neandertalern ging es darum, wer das größte Mammut erlegt. Und der durfte dann die behaarteste Frau mit auf sein Lager nehmen.«
    »Na schönen Dank auch«, wirft Bernhard ein, der behaarte Frauen ungefähr so sexy findet wie behaarte Erdbeertorten.
    |68| »Und die Frauen ihrerseits waren natürlich ganz scharf darauf, vom erfolgreichsten Jäger besamt zu werden«, führt Lilith den Gedanken zu Ende.
    Zoe ist ein bisschen beleidigt, weil das jetzt so klingt, als sei sie nie über das Stadium einer Neandertalerin hinausgekommen.
    »Und woher wollt ihr das so genau wissen?«, wirft Bernhard ein.
    »Gar nicht«, sagt Marc. »Ist reine Spekulation. Aber wie sonst könnte man erklären, dass Frauen freiwillig mit jemandem wie … Dieter Bohlen ins Bett gehen?«
    Bernhard ist entwaffnet. Außerdem glaubt er es ja selbst – das mit den Mammuts. Und er weiß auch, dass er das größte Mammut immer einem anderen überlassen hätte. Er besieht sich den Daumen. Das Stück Haut, das er mit dem Nagel abgerissen hat, war zwar nicht groß, aber irgendwie neuralgisch. Jedenfalls hört es nicht auf zu bluten.
    »Hast du Pflaster?«, fragt er.
    »Der Verbandskasten liegt irgendwo hinter dir«, antwortet Marc.
    Bernhard beugt sich über die Rückbank und beginnt zu suchen.
    Zoe, die gedankenverloren aus dem Fenster sieht und ein bisschen schmollt, sagt unvermittelt: »Na und?«
    Bis auf Bernhard, der zwischen den Taschen wühlt, richten alle den Blick auf sie. Marc hat einen wunden Punkt getroffen. Und wie das so ist, wenn man auf Öl stößt: Da bohrt man gleich noch ein bisschen tiefer.
    »Und warum will
er dich
nicht?«
    »Vielleicht ist sie nicht behaart genug«, kommt Bernhards Stimme von hinten.
    Zoe wirft Marc einen strafenden Blick zu. »Er
will
mich doch!« »Und warum« – Bernhard ist zwischen den Taschen verschwunden und klingt, als habe er einen Knebel im Mund – »weiß dann seine Frau nichts davon, dass er dich will?«
    »Er wartet auf den geeigneten Zeitpunkt.«
    »Seit zwei Jahren?«, fragt Marc.
    Zoe verschränkt die Arme vor der Brust. »Seit anderthalb.«
    Jetzt ist eigentlich der Punkt gekommen, sie in Ruhe zu lassen. |69| Aber Bernhard kann nicht. Zoe und

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