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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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nicht.«
    »Und du nimmst das einfach so hin, ja?«
    |62| Statt zu antworten, wendet Andra sich ab und räumt die Teller in die Spülmaschine. Ich gehe packen.
    Marc und ich sitzen über unseren Taschen und beobachten Bernhard dabei, wie er seinen Alukoffer einsortiert. Plötzlich betritt Lilith das Zimmer und lehnt sich gegen die Tür, als wolle sie uns den Ausgang versperren.
    »Jungs …« Sie verschränkt die Arme, was etwas mit ihren Brüsten macht, das Bernhard innehalten lässt, und kaut auf der Unterlippe. Irgendwann treten Tränen in ihre Augen. Die Verschlüsse von Bernhards Alukoffer klicken. Fertig, wir können. »Nehmt ihr mich mit?«
     
    Wir sitzen im Bus und warten. »Gebt mir zehn Minuten«, hatte Lilith gesagt, als sie uns zur Tür hinausschob. Inzwischen sind zwanzig vergangen. Bernhard blickt nervös auf seine Uhr. Er fürchtet, Zoe könnte auf dem Absatz kehrtmachen und wieder in den Flieger steigen, wenn wir nicht da sind, um sie in Empfang zu nehmen. Wir sind ohnehin schon spät. Die Morgensonne glänzt heiß auf dem Asphalt und schneidet ihn entlang der Häuserschatten in zwei Teile. Vom Bäcker an der Ecke weht der Duft von Baguettes und Croissants über die Straße.
    Gegenüber öffnet sich die Gartenpforte. Liliths Locken glänzen in der Sonne wie eine Verheißung. Sie ringt sich ein Lächeln ab. Ihr T-Shirt liegt enger an, als es müsste, ist rot wie ein STOP-Schild, und als sie zu uns auf die Schattenseite wechselt, erkennen wir auch den Schriftzug, der sich über ihre Brust spannt:
     
    FREMDE LÄNDER
    FREMDE TITTEN
     
    Als sie auf den Beifahrersitz klettert, kleben drei Augenpaare an ihrem T-Shirt.
    »Ich dachte, ich gehe es mal offensiv an«, erklärt sie. Und dann: »Also von mir aus können wir.«
     
    Der Genfer Flughafen ähnelt einem Kreuzfahrtschiff. Langgezogene Decks mit Bars und Shops, gefüllt mit gelangweilten Menschen: alles gesehen, alles erlebt. Wie von Bernhard prophezeit, |63| kommen wir zu spät. Doch Zoes Flug hat noch mehr Verspätung als wir, eine halbe Stunde, mindestens.
    Wir lassen uns durch die -1-Ebene treiben und landen im »Montreux Jazz Café«, wo wir uns unter ein künstliches Kellergewölbe aus Pappmaché setzen. Aus unsichtbaren Lautsprechern plätschern Jazz-Standards, die man nicht voneinander unterscheiden kann, die man aber alle zu kennen glaubt.
    Bernhard findet, wir sollten uns lieber nicht hinsetzen, sonst verpassen wir am Ende Zoe, aber Marc meint, wenn sie erst einmal anfangen, Verspätungen anzuzeigen, wird es am Ende sowieso immer noch mehr. Außerdem: »Erst den ganzen Morgen brauchen, um seinen Koffer zu packen, aber dann keine Zeit für’n Kaffee.«
    Noch bevor die Getränke an unseren Tisch gebracht werden, beginnt Marcs linkes Bein zu wippen. Er verachtet Jazz. Stundenlang um dieselben Harmonien kreisen, ohne jemals irgendwo anzukommen. Wer denkt sich so was aus? »Alt werden im Laufrad und sterben, ohne dass es jemand merkt«, erklärt er. »Das ist Jazz.«
    Bernhard sagt nichts. Er denkt an Zoe und dass wir sie möglicherweise verpassen könnten. Lilith an ihre Schwester. Irgendwann wendet sie mir den Kopf zu.
    »Findest du, ich sollte ein schlechtes Gewissen haben, weil ich nicht geblieben bin?«
    »Ist keine Frage von sollen, oder?«
    Lilith schüttet sich so viel Zucker in den Kaffee, dass die Tasse gerade nicht überläuft. »Die hatte mal so viel Spaß.« Sie taucht den Löffel ein und rührt. Kurz darauf steht die Tasse in einer Kaffeepfütze. »Macht mich richtig wütend«, stellt sie fest. Sie rührt und rührt. »Scheiß drauf.« Sie nimmt den Löffel aus der Tasse, leckt ihn ab, sagt: »Uuuaaargh – ist das süß!«, und schiebt die Tasse von sich weg. »Die
will
doch nur, dass ich ein schlechtes Gewissen habe. Glaubst du, die hätte einmal danach gefragt, wie es
mir
gerade geht?«
    Als wir an den KLM-Schalter zurückkehren, ist Zoe bereits eingetroffen. Weniger Verspätung als angekündigt. Sie sitzt auf einer Bank, als warte sie noch immer auf Chicago: dunkelblaues |64| Kostüm, weiße Bluse, den Rollkoffer neben sich geparkt, die Haare wie aus einer Shampoo-Werbung. Erfolg, ich komme! Trotzdem ist da noch mehr: eine Ahnung von Tragik, die sie umgibt.
    Sie tippt auf der Tastatur ihres Laptops herum, bis sie merkt, dass sie umstellt ist. »Und ich dachte schon, ihr kommt nicht mehr!« Beinahe rutscht ihr der Laptop vom Schoß.
    Einer nach dem anderen werden wir umarmt. Ich kann mich nicht erinnern, je so viel Erleichterung

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