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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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Schachcomputer zu Weihnachten. Meine mathematische Begabung ließ ihm keine Ruhe.
    »Einen Mephisto Roma?«, fuhr mein Vater ihn an. »Warum nicht gleich Figuren aus Massivgold?«
    Das Spielbrett war aus Holz, wie das von Vater, mit gedrechselten Figuren. Nur dass es zusätzlich ein Fach zum Ausziehen gab, in dem ein Modul eingearbeitet war, 32 Bit, wie Vater erklärte. In der Mitte zeigte ein fingergroßes LCD-Display die Züge an. Inzwischen wusste ich auch, was das Wort »Begabung« bedeutete. Meine Lehrerin hatte es mir erklärt. Begabung war, wenn man etwas besser konnte als andere.
    Sebastian bekam ein Rennrad, zwölf Gänge, nachtblau, mit goldener Schrift. Er hatte sich eins von Peugeot gewünscht, aber Vater hatte entschieden, dass es ein deutsches Fabrikat sein sollte. »Die Franzosen verstehen nichts von Technik«, meinte er.
    Als Vater dieses Jahr fragte: »Wie sieht’s aus, Hugo?«, sagte mein Onkel zu mir: »Wie sieht’s mit
dir
aus, Felix? Möchtest du zuschauen?«
    Ich nickte und folgte ihnen ins Arbeitszimmer.
    Vater verlor, wie jedes Jahr. Er hatte mehr Geld, aber Onkel Hugo war schlauer.
    »Eines Tages krieg ich dich«, sagte Vater, »und dann reiße ich deinem König den Kopf ab.«
    Er stand auf, ließ Hugo und mich im Arbeitszimmer zurück und ging ins Wohnzimmer, wo er sich einen Whiskey aus der Hausbar einschenken würde, einen großen.
    »Wieso will Papa deinem König den Kopf abreißen?«, fragte ich.
    Onkel Hugo blickte auf das Brett und begann seine Pfeife zu stopfen. »Ich fürchte, er war zu lange beim Militär – das färbt ab. Außerdem hasst er es zu verlieren.«
    |57| Beim Militär, das hatte Vater mir erklärt, lernte man zu kämpfen. Ich hoffte, dass ich nicht auch zum Militär musste, wenn ich groß war. Ich wollte den Kopf nicht abgerissen bekommen, und ich wollte auch niemandem den Kopf abreißen müssen.
    »Hasst du es auch, wenn du verlierst?«, fragte ich.
    »Nein.« Onkel Hugo rieb sich das Kinn. »Hass bringt nichts.«
    »Warum lässt du ihn dann nicht einfach mal gewinnen?«
    »Das könnte ich schon machen.« Onkel Hugo ließ den Gedanken in der Luft schweben wie einen seiner Rauchkringel. »Aber weißt du: Eigentlich, glaube ich, spielt dein Vater gegen mich, um zu verlieren.«
    Das verstand ich nicht. »Aber warum?«
    Onkel Hugo senkte wieder seinen Blick und betrachtete die stummen Zeugen von Vaters Niederlage. Der Kampf war vorbei. Die Bauern, die überlebt hatten, standen herum und fragten sich, wohin.
    »Ganz ehrlich«, sagte er, »ich weiß es nicht. Vielleicht will ich auch nur, dass er meinem König nicht den Kopf abreißt.« Er nahm Vaters schwarzen König und stellte ihn an seinen Platz zurück. »Soll ich dir die Regeln erklären?«

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    |59| Zweiter Tag
    What is the purpose of my life
    If it doesn’t have to do
    With learning to let it go
     
    (Jack Johnson)

|61| 12
    Liliths Schwester wohnt nicht, wie wir erwartet haben, in Genf selbst, sondern in einem kleinen Vorort, der sich über einen Berghang verteilt und über einen schmalen Serpentinenweg zu erreichen ist. Auf dem Frühstückstisch türmt sich das Schweigen. Nach dem Gespräch mit ihrer Schwester letzte Nacht sind selbst Andra die Worte ausgegangen. Hinter der Panoramatür erstrahlt ein neuer Tag in hellem Glanz. Ein Zipfel des Sees leuchtet türkisfarben zu uns herauf. Die Boote, die am Abend ihren Schlafplätzen zutrieben, ziehen mit gestärkten Segeln dem Tag entgegen.
    Klaus ist hinter der Neuen Zürcher Zeitung verschwunden. Irgendwann stolpert Patrick herein, 18 Monate alt. Er hat die blonden Locken seiner Tante, rudert beim Gehen mit den Armen in der Luft und schafft es bis zum Tisch, ohne hinzufallen.
    »Hier stinkt’s«, bemerkt Klaus.
    Wortlos erhebt sich Andra, nimmt Patrick auf den Arm und geht ihm die Windel wechseln. Wenig später faltet Klaus die Zeitung zusammen und verlässt die Wohnung, um am Cern seine Magneten zu kühlen. Marc, Bernhard und ich packen unsere Sachen zusammen. Als ich aus dem Bad komme, stehen Lilith und Andra in der Küche. Lilith hat Patrick auf dem Arm, Andra räumt den Aufschnitt in seine Tupperdose zurück und verstaut diese im Kühlschrank.
    »Hat dein Mann eigentlich einem seiner Kinder auch schon mal selbst den Hintern abgewischt?«, fragt Lilith, während Patrick mit seinen Fingern in ihren Haaren Verstecken spielt.
    »Schön wär’s.«
    »Und warum nicht?«
    Andra wischt sich ihre Hände an einem Küchentuch ab. »Er macht es einfach

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