Nächsten Sommer
wirft Zoe einen verschwörerischen Blick zu. »Und natürlich Göttinnen lieben und wie ein Gorilla Sex mit ihnen haben – bevor das Ganze im Orkus verschwindet.«
»Wow«, gluckst Lilith, »du bist ja richtig poetisch.«
Zoe lässt sich gegen die Lehne fallen. »Weißt du, was das Problem mit dir ist, Marc?«
»Du liebst mich?«
»Nächsten Sommer. Das Problem mit dir ist: Wenn
du
so etwas sagst, dann glaubt man es sogar. Ich geb auf.«
Lilith, die grundsätzlich der Ansicht ist, dass Frauen sich Männern nicht geschlagen geben sollten, interveniert: »Ich finde, du solltest dir wenigstens eine Chance geben, Zoe. Was Marc kann, kannst du schon lange. Los: Was willst
du
vom Leben? Und keine Ausflüchte, bitte. Komm uns jetzt nicht mit ›Weltfrieden‹ oder so ’nem Scheiß.«
Nichts läge Zoe ferner. Nicht, dass sie etwas gegen Weltfrieden |87| einzuwenden hätte – klar, kann man machen. Ist aber kein Gedanke, der sie morgens aus dem Schlaf reißt. Wenn sie morgens aufwacht, geht es in erster Linie um
ihre
Belange, um das, was Zoe für
sich
will. Und da rangiert – sorry – Weltfrieden nicht auf den vordersten Plätzen.
»Vergiss es«, winkt sie ab. »Ich bin ein offenes Buch.«
Bernhard beugt sich vor, um an Lilith vorbeizusehen. »Und: Was steht drin?«
Wir haben uns unbemerkt in die Höhe geschraubt. Die Luft ist klar, wie gereinigt. Am Hang auf der anderen Seite des Tals kann man die Bäume einzeln zählen, dabei trennen uns mindestens fünf Kilometer. Der Geruch wilder Kräuter weht herein, und durchwirkt ist das alles vom Zirpen der Zikaden, das mal leiser wird, dann wieder direkt in den Bus zu springen scheint, aber niemals völlig verstummt.
Zoe ist tatsächlich ein offenes Buch. Sie will, dass Ludger seine Frau verlässt und sie heiratet. Und zwar big time: mit Schloss am See, einer Schleppe, so lang, dass niemand hinter ihr gehen kann, Myrrhe, Weihrauch, Party und Champagner bis zum Abwinken. Der ganze Zinnober. Dann: zwei bildhübsche Kinder, Junge und Mädchen, eine schicke Villa in München, mehr Geld, als sie ausgeben kann. Außerdem: Sicherheit. Sicherheit ist wichtig. Was an den 70ern so spannend gewesen sein soll, hat sie nie verstanden. Dann noch: Erfolg im Job, Anerkennung, Verehrung, ein Ferienhaus in Südafrika mit zwölf Metern Pool im Garten. Das war’s so ziemlich. Ist eitel, schon klar, na und? Sorry, Freunde, ihr wolltet die Wahrheit? Das ist sie.
Lilith tätschelt Zoes Knie. »Sei nicht traurig. Marc gewinnt zwar die Romantik-Wertung, aber in der Kategorie ›realistische Weltwahrnehmung und Altersvorsorge‹ holst du es wieder rein.«
Plötzlich zieht mich jemand am Ohrläppchen. »Felix!« Seit sie am Joint gezogen hat, sitzt Lilith der Schalk im Nacken. »Schätze, jetzt bist du dran. Also, was ich von dir weiß, ist: Du schläfst nicht, du isst nicht, du trinkst nicht, du rauchst nicht, du redest nur, wenn es sein muss … Aber du atmest, stimmt’s? Haha, hab dich! Tja, mein Lieber, musst du durch, auch wenn’s schwerfällt. Einatmen, ausatmen – kommst du nicht dran vorbei. Offenbar |88| bist du also eine Art … Asket. Und da frage ich mich natürlich: Was will ein Asket wie du vom Leben?«
Ich winke ab, wie Zoe. Lieber nicht. Doch die anderen lassen nicht locker, ziehen reihum an meinem Ohrläppchen, und schließlich grinst selbst Marc und ruft: »Diogenes! Was willst du vom Leben, Asket? Lass uns teilhaben! Bitte!«
Ich versuche zu erklären, dass ich weder weiß, ob es das überhaupt für mich geben kann, noch, wie es aussehen könnte, oder ob ich es nicht vielleicht längst schon gefunden habe … Aber wenn ja, dann möchte ich gerne verstehen, wozu ich auf der Welt bin.
Meine Erklärung kommt nicht gut an. »Geht’s nicht noch ein bisschen abstrakter?«, wirft Lilith ein.
Und dann höre ich mich sagen: »Ich möchte bereit sein, den Tod anzunehmen.« Und mir wird klar, dass es tatsächlich das ist, was ich will: Keine Angst mehr haben, vor gar nichts. »Und ich möchte niemandem geschadet haben«, füge ich hinzu.
»Buuh«, ruft Lilith. »Wir haben noch das ganze Leben, um uns mit dem Tod anzufreunden.«
»Und niemandem zu schaden«, ergänzt Zoe.
»Genau«, bestätigt Bernhard.
Marc kichert wie ein Eichhörnchen. Der hat leicht reden. Wenn ich sein Talent hätte, wüsste ich, wozu ich auf der Welt wäre. Ich merke, dass alle ganz schön breit sind. Sogar Bernhard. Der hat natürlich nicht am Joint gezogen, aber der Bus hängt inzwischen so mit THC
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