Nächsten Sommer
Stimme: »Sag mal, Felix: Wie erträgst du es eigentlich, dass Marc so viel kifft?«
Ich bin mit Schalten, Lenken, »entgegenkommenden Fahrzeugen ausweichen« und »nicht den Berg runterfallen« beschäftigt, also antworte ich kurz: »Er erträgt ja auch, dass ich nicht kiffe.«
»Was ist denn das für eine Logik? Das stimmt doch hinten und vorne nicht.«
»Wieso?«
»Normal ist ja wohl, nicht zu kiffen.«
»Normal ist auch, von neun bis fünf im Büro zu sitzen«, antworte ich.
Bernhard schaltet sich ein: »Was soll denn daran verkehrt sein – von neun bis fünf im Büro zu sitzen? Mach ich schließlich auch.« »Hab auch nicht gesagt, dass daran irgendwas verkehrt ist«, erkläre ich.
»Bis um fünf«, sinniert Zoe. »Von so was träume ich.«
Marc reicht den Joint an Lilith weiter: »Also los, Zoe«, er lächelt sein Herzensbrecherlächeln, »was hat es mit der Route Napoléon auf sich?«
Zoe erklärt, dass die Strecke deshalb so heißt, weil Napoleon damals diesen Weg wählte, als er mit seinen 1000 Getreuen das Zwangsexil auf Elba verließ, um in Frankreich die Macht zurückzuerobern. |85| Über 300 Kilometer, in nur einer Woche! Alle, die sich ihm entgegenstellten, liefen innerhalb kürzester Zeit zu ihm über. Ab Grenoble war sein Marsch ein einziger Triumphzug. Auf diesem schmalen Pfad wurde Weltgeschichte geschrieben!
Eben noch hat sie auf Marc und seine Kifferei geschimpft, jetzt jedoch ist Zoe so von ihrer Geschichte ergriffen, dass sie sich den Joint geben lässt und selbst einige Züge nimmt. Es ist ein starker Joint, ich rieche es.
»Der Weg, den wir gerade fahren?«, fragt Marc ungläubig.
»Wahnsinn, oder?«, antwortet Zoe. »Außer, dass er damals natürlich noch nicht ausgebaut war. Hui – jetzt schaukelt’s aber ganz schön!«
Lilith blickt aus dem Fenster, wie um sich zu vergewissern. Von Wolken umwehte Bergkuppen recken sich wie versteinerte, weißbärtige Häupter aus den schroffen Felsen – Richter über Tod und Leben.
»Der hat seine komplette Privatarmee durch diese Berge getrieben, um wieder da einzumarschieren, wo man ihn vorher rausgeschmissen hat?« Der Joint hat den Weg zurück zu Lilith gefunden. Sie inhaliert und denkt genau so lange nach, wie sie den Rauch in den Lungen behält. »Weshalb bleibt der nicht einfach auf seiner Insel, isst Sahneeis und lässt sich jeden Tag von einem anderen Getreuen den Rücken massieren?«
Zoe kann nicht anders, als für Napoleon Partei zu ergreifen. Alphamännchenkontrollfreakegomanen ziehen sie an wie schwarze Löcher. »Er will eben mehr vom Leben, als seinen Hintern auf einer öden Insel plattzusitzen.«
»Aber muss er deshalb gleich Tausende Franzosen verheizen? Soll er doch einen Töpferkurs belegen oder Yoga machen.«
»Als würdest
du
dich mit einem Töpferkurs zufriedengeben – Miss Indiana Jones.«
»Auf jeden Fall muss ich keinen Krieg vom Zaun brechen, um mein Ego zu befriedigen. Was gibt’s denn da zu grinsen?«
Gemeint ist Marc, der vergnügt in sich hinein schmunzelt, kurz vorm Kichern. Er mag es, Zoe aus der Reserve zu locken. Die ist jetzt wieder da, wo sie heute auf gar keinen Fall mehr hinwollte: Bei der Frage, was man vom Leben wollen soll.
|86| »Ach nichts«, antwortet er, dreht die Gitarre wieder auf den Rücken und versammelt ein paar getreue Töne um sich.
Ist das der Sinn des Lebens, frage ich mich. Ist es das, was wir wollen sollen – mehr? Sollte auch ich »mehr« wollen? Und wie könnte das aussehen? Napoleon wollte mehr vom Leben, gebongt. Was hat es ihm gebracht? Drei Monate nachdem er die Macht wieder an sich gerissen hatte, musste er endgültig abdanken und wurde erneut verbannt. Und diesmal gab es kein Zurück.
Zoe hat die Schmollerei aufgegeben und geht in die Offensive. Napoleon scheint ihre Angriffslust gestärkt zu haben. »Dann sag
du
doch mal, was du vom Leben willst«, fordert sie Marc heraus. »Du belächelst immer nur alles. Das kann jeder.«
Marc zieht ein letztes Mal an seinem Joint, schnippt ihn aus dem Dach, legt den Kopf in den Nacken und sieht dabei zu, wie der Rauch, den er durch das Schiebedach bläst, vom Fahrtwind verwirbelt wird. Solange er spricht, lässt er den Kopf im Nacken und blickt in die Wolken. »Okay«, beginnt er. »Ich will: Musik machen. Gitarre spielen. Die Melodie finden, die mir seit gestern im Kopf rumeiert. Und dann will ich noch« – er breitet die Arme aus wie Schwingen – »im Meer schwimmen, von Bergen gucken, träumen und gerettet werden.« Er
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