Nächsten Sommer
verkünden. »Na ja – fair enough.«
Der Joint hat sie versöhnlich gestimmt. Erst hat er sie mit Marc Frieden schließen lassen, jetzt mit mir. Vielleicht sollte sie öfter mal ziehen.
»Du kannst also doch reden«, sagt Lilith.
Marc, der für die Dauer meiner Geschichte die Gitarre abgestellt hat, sucht eine CD heraus, Jack Johnson, »die neue diesmal«, wie er sagt. Was unerheblich sei, weil sowieso alle gleich klängen. Trotzdem schön. »Egal, wie oft du die hörst – geht immer wieder die Sonne auf.«
|91| Unterdessen hat Jack Johnson zu singen begonnen – davon, wie es ist, wenn man wieder von dieser Melancholie überwältigt wird, von Trauer und Zweifel. Doch da ist immer auch das andere: Hoffnung, Liebe, Morgen.
There’s a world we’ve never seen
There’s still hope between the dreams
The weight of it all could blow away with a breeze
Wir haben die Route Napoléon verlassen. Keiner weiß mehr, wann und wo. Die Straße, auf die es uns verschlagen hat, ist noch enger und noch kurvenreicher, krallt sich an steile Berghänge und schlüpft durch überhängende Felsen wie durch offene Mäuler. Keiner kann sich daran erinnern, wie lange die letzte durchquerte Ortschaft zurückliegt oder wann uns zuletzt ein Auto begegnet ist.
Bernhard ist an der Reihe. Alle anderen haben sich erklärt. Sogar ich. Habe die Geschichte von Benno erzählt, sie geteilt. Vielleicht habe ich sie sogar mit Benno geteilt, für den Moment. Am nächsten Tag war er wie immer. Schien mich nicht zu kennen. »Gibt’s auch mal irgendwas, das du festhalten willst?«, hat Zoe gefragt. Ich habe Zweifel, ob das Konzept funktioniert – festhalten. Bei Benno offenbar nicht, bei Zoe offenbar ja.
Für Bernhard gleicht die Frage, was er vom Leben will, der Büchse der Pandora. Sobald er sie öffnet, entweicht alles, was ihn krank macht. Sein größter Wunsch ist es, Ludger zu sein, oder Napoleon, in jedem Fall der dickste Fisch im Teich, seine Frau sitzenzulassen, Zoe das Ferienhaus in Südafrika zum Geschenk zu machen, Pool inklusive, und alles für sie zu tun, was es braucht, um von ihr begehrt zu werden. Manchmal wünscht er sich das so sehr, dass er gar keine eigene Identität mehr besitzt. Dann weiß er gar nicht mehr, wer
er
ist und was
er
eigentlich will. Aber das sagt er nicht. So viel Haschisch gibt es auf der ganzen Welt nicht.
Ein einziges Mal hat Bernhard sein Herz an eine andere vergeben, als er beim Bund war, dem Vaterland dienen. Katharina. Er hat sie auf Händen getragen, ihr jeden Wunsch von den Lippen abgelesen, ihr die Sofakissen zurechtgerückt und sich ihren Launen unterworfen. Katharina sagte, sie fühle sich eingeengt, er |92| lasse ihr keine Luft zum Atmen. Weiß Gott, woher Bernhard das hat, dieses »sich unterwerfen«, sich kleiner machen, als er ist. Wie ein Ritual. Wie früher sein Dackel. Entsetzlich.
Irgendwann stand Katharina auf und ging. Eigentlich war sie schon längst weg, nur dass jetzt ihr Körper folgte. Bernhard wartete die halbe Nacht auf ein Lebenszeichen von ihr. Um zwei Uhr morgens schickte er ihr eine SMS:
Kommst du noch?
Die Antwort folgte prompt:
Ja, aber nicht mit dir.
Seither hat Bernhard sein Herz an Zoe gehängt. So kann er sicher sein, dass sich seine Sehnsüchte niemals an der Realität messen lassen müssen.
»Lügen zwecklos«, sagt Lilith, die Bernhard nach zwei Tagen besser zu kennen scheint als er sich selbst.
Und dann sagt er etwas, das uns alle überrascht: »Ich will, dass meine Mutter endlich stirbt.« Sein Blick ist auf die Hände in seinem Schoß gerichtet. Die Stelle an seinem Daumen, die vorhin erst aufgehört hat zu bluten, reißt wieder auf. Er schlägt die Hände vor das Gesicht. »Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade gesagt habe.«
Die anderen sitzen ratlos im Kreis und schweigen, während Jack Johnson das macht, was er am besten kann: sich wie eine tröstende Hand in den Nacken legen.
I see you slowly swim away
As the light is leaving town
To a place that I can’t be
But there’s no apologies
Die Dinge sind, wie sie sind.
Bernhard kramt in der Hosentasche und wischt sich die Tränen mit einem der Taschentücher ab, die er vorhin um seinen Daumen gewickelt hat. Danach ziehen sich rötliche Schlieren über seine Wangen.
»Tut mir leid«, entschuldigt er sich. Dann kommen neue Tränen.
Zoe hat eine von diesen Tischlein-deck-dich-Handtaschen, die nicht größer sind als eine Zigarettenschachtel, aber in die alles hineinpasst, um, egal wo, ein neues
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