Nächsten Sommer
Die wirst du doch wohl mal angefasst haben?«
Zoes Impuls ist, ihre Hand zurückzuziehen, doch gegen Lilith hat sie keine Chance. Ihre Antwort ist ein Räuspern. »So noch nicht.«
Bernhard starrt inzwischen meinen Hinterkopf an. Marc hat sein Döschen ertastet, leckt eine Zigarette an, trennt das Papier auf und lässt den Tabak in den Dosendeckel fallen.
»Na, dann wird’s aber Zeit.«
Lilith spreizt Zoes Zeige- und Mittelfinger ab und führt Zoes Hand an ihre Lippen. Sie hebt das Kinn von der Brust, worauf ihr das T-Shirt bis auf die Brustwarzen herabrutscht, nimmt die Zigarette, schiebt sich Zoes abgespreizte Finger in den Mund und umschließt sie mit den Lippen. Marc hat seine Dose auf den Gitarrenrücken gestellt, entzündet sein Feuerzeug und hält die Flamme unter das Piece. Lilith klemmt die Zigarette wieder zwischen die Zähne und führt mit beiden Händen – es gibt kein Entrinnen – Zoes befeuchtete Finger an ihre Brustwarze. Das T-Shirt rutscht über Zoes Handrücken. Lilith schmiegt ihre Brust in Zoes Handfläche, drückt sanft zu und lässt Zoes Finger über ihr Piercing gleiten.
»Cool, oder?«, sagt Lilith. »Warm und kalt gleichzeitig.«
Sie schließt die Augen, atmet tief ein, ihr Brustkorb hebt sich, und sie legt leicht den Kopf in den Nacken. Zoe sieht aus, als würde sie zur Schlachtbank geführt werden und könne sich nichts Schöneres vorstellen.
»Mmmm«, macht Lilith.
Direkt an meinem Ohr ertönt die Hupe eines Sattelschleppers. |82| Im nächsten Moment bricht der Außenspiegel ab, und wir scheuern auf dem letzten Streifen losen Gerölls entlang, bevor es nur noch Abgrund gibt und freien Fall. Ich reiße das Steuer herum, Marc verbrennt sich die Finger, schreit auf, und der Inhalt seiner Dose verteilt sich über den Fußboden.
Lilith gibt Zoe ihre Hand zurück, streicht sich das T-Shirt glatt und drückt ihren Rücken gegen die Lehne. Ihr Gesicht ist eine Mischung aus gespielter Unschuld und unverhohlenem Triumph.
»Ist was, Jungs?«
Bernhard blickt aus dem Fenster, Zoe scheint ihre Hand verbergen zu wollen.
Marc sagt: »Meine Dose ist runtergefallen.«
|83| 17
Bernhard wendet sich Lilith zu: »Was willst du jetzt eigentlich machen? Ich meine, mit dem Studium und so …«
Lilith macht eine Bewegung, als verscheuche sie lästige Insekten. Mehr kommt nicht.
Bernhard reicht ihr eine Flasche isotonischen Durstlöschers. Neonblau. Das Getränk. Eine Farbe, mit der man wilde Tiere vertreiben könnte.
»Nur Mut«, sagt Marc.
Lilith trinkt die halbe Flasche in einem Zug. »Also gut.« Sie schiebt eine Kunstpause ein und macht es kurz und schmerzlos: »Woanders weiterstudieren, natürlich, Berlin vielleicht – wollte ich sowieso hin. Ich werde eine berühmte Archäologin, da hält mich niemand von ab. Die weibliche Indiana Jones. An mir werden sich eine ganze Menge Leute die Zähne ausbeißen.« Sie zündet sich die Zigarette an, die Marc ihr hinhält. »Schätze, weiter bin ich noch nicht.«
»Und was ist mit Kindern?«, hakt Bernhard nach. »Du weißt schon – Familie, ein Zuhause …«
»Ich weiß, was Kinder sind – danke, Bernhard.« Lilith tippt sich gegen die Unterlippe, denkt an ihre Schwester und ihre beiden Neffen. »Mal sehen, was kommt, würde ich sagen. Hab nichts gegen Kinder …«
»Aber da braucht es einen Mann für.«
»Falsch, da braucht es Sperma für.«
»Hat jemand eine Ahnung, wo wir sind?«, fragt Zoe.
Die Berge haben uns eingekreist und wachsen in die Wolken hinein. Wir schwanken von einem Tal ins nächste, während sich hinter unseren Rücken die Felsen ineinanderschieben. Von Zeit zu Zeit tauchen kleine Seen unter uns auf, die mit flüssigem Silber gefüllt sind.
|84| »RN 85«, liest Marc einen Meilenstein am Straßenrand.
»Wir sind auf der RN 85?« Zoe ist wie aus dem Schlaf gerissen. »Das ist doch die Route Napoléon!«
Sagt Marc so viel wie die chemische Formel von Oktan. »Und?«, fragt er, »was ist an der so besonders – abgesehen von ihrem Kurvenreichtum?«
»Mann, Marc, wo warst’n du in Geschichte?«
»Im Mauerpark, Gitarre üben. Weißt du doch. Aber zum Glück hatte ich ja dich.«
Er leckt eine neue Zigarette an und unternimmt einen zweiten Versuch, sich den Joint zu drehen, der sich vorhin im Bus verteilt hat. Alle sehen dabei zu. Zoe schweigt. Sie will gefragt werden.
Als Marc fertig ist und dreimal gezogen hat, hält er mir den Joint hin. »Auch mal?«
»Nächsten Sommer«, antworte ich.
Von hinten kommt Zoes
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