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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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wieder ein. Dieselben frustrierten Gesichter, dieselben Schweißflecken unter den Achseln, dasselbe ungeduldige Auf-der-Stelle-Treten. Der Wolkenteppich hängt noch immer wie eine ausgerollte Plane über unseren Köpfen, doch in der Ferne, im Süden, wo irgendwann das Meer anfängt, spannen sich hellblaue Bänder mit Goldbesatz über den Horizont. Eine Behelfsausfahrt kriecht auf uns zu. Wir haben die Wahl, ins Ungewisse abzufahren oder auf dem sicheren Weg zu darben. Ich fahre ab. Wir drehen Runden in einem Kreisverkehr und lesen die Wegweiser, bis Marc schließlich sagt: »Gap kann nicht ganz falsch sein.«
    Die Berge rücken näher, manche ihrer Ausläufer ragen bis an den Straßenrand. Keiner spricht es aus, doch allen ist klar, dass wir das Meer heute nicht mehr erreichen werden. Schmale Gassen führen uns durch halbverlassene Dörfer mit verwachsenen Häusern. Vor Haustüren sitzen verwachsene Männer auf knarzenden Stühlen. Manchmal lässt einer eine Bemerkung fallen, manchmal wird sie aufgehoben und weitergereicht. Fenster und Balkone sind noch geranienbehangen, Rosa, Rot, Weiß, und auch die Kühe sehen aus wie im Allgäu, doch es riecht bereits nach Süden, nach dunklen Bergen, mächtigen Pinien und kupferfarbenem Licht.
    Zoes Stimmung hellt sich langsam auf. Als hätte sie auf dem Rastplatz etwas abgestreift und dort zwischen den Autos liegengelassen. In Lilith scheint sie eine Seelenverwandte gefunden zu haben. Bei aller Unterschiedlichkeit eint sie die gleiche Erfahrung: Das Spiel der Liebe als Grand Dame zu beginnen, um als Bauernopfer zu enden. Die gleichen zerstörten Illusionen, der gleiche Schmerz, die gleichen Rachegelüste.
    Während Bernhard selbstvergessen aus dem Fenster blickt, erzählt Zoe von ihrem Job und Lilith von ihrem Studium. Später weitet sich die Unterhaltung: zeitgenössische Kunst, Essen, |80| welchen Film man zuletzt im Kino gesehen hat. Marc unterlegt das Gespräch mit barocker Lautenmusik. Wenn ihm danach ist, zieht er gerne auch mal das klassische Register. Sonaten von Scarlatti. Die spielt er bevorzugt, wenn er auf der Leiter meines Bauwagens sitzt und es Abend wird. Er meint, Scarlatti passe zu mir. Als ich ihn gefragt habe, wie er das meine, antwortete er: »Will nicht mehr sein, als er ist.« Da sei Bach ganz anders. Marc tremoliert, was das Zeug hält. Jede zweite Note wird mit einem Triller verziert, einfach weil es ihm Spaß macht. Wie bei den Delphinen, wenn sie über die Wellen springen.
    Plötzlich sagt Bernhard zu Zoe: »Hat Lilith dir eigentlich schon erzählt, dass sie gepiercte Brustwarzen hat?«
    Zoe starrt Liliths T-Shirt an, als sehe sie den Schriftzug zum ersten Mal.
    »Echt?«, fragt sie.
    Lilith lässt sie einen Moment auf die Antwort warten, beginnt zu schmunzeln und sagt: »Willste mal sehen?«
    Marcs letzter Triller bleibt unvollendet in der Luft hängen. Wir erklimmen den ersten Pass. Der Motor dröhnt, als wolle er sich ins Wageninnere fressen.
    Bevor Zoe eine Antwort herausstottern kann, dreht Lilith ihr den Oberkörper zu, klemmt sich die Zigarette zwischen die Lippen und schiebt ihr T-Shirt hoch. Ihre Brüste wirken noch größer als unter dem Stoff, noch fester, noch wohlgeformter. Alles eins mehr. Die Gitarre verstummt, der Motor brüllt. Die Piercings sind identisch: durch die Brustwarzen gestochene Nadeln mit jeweils einer kleinen Kugel zu beiden Seiten. Bernhard schielt aus dem Augenwinkel wie bei einer Mathearbeit, doch Lilith hat ihm den Rücken zugedreht. Zoe dagegen trinkt mit den Augen.
    »Willst du mal anfassen?«, fragt Lilith.
    Sie zieht das T-Shirt bis unter die Achseln. Ihre Ellenbogen stehen ab wie Stummelflügel.
    »Darf ich?« Zoe scheint alles um sich herum vergessen zu haben.
    Lilith lächelt schief. Von ihrer Zigarette steigen feine Kringel auf. »Bei dir kann ich ja wohl schlecht nein sagen.«
    Zögernd nimmt Zoe ihre Hand aus dem Schoß, die langsam Liliths |81| Brust entgegenschwebt. Die letzten Zentimeter jedoch kann sie nicht überwinden.
    »Keine Angst«, sagt Lilith, »die beißt nicht.«
    Sie klemmt sich das T-Shirt unters Kinn, ergreift Zoes Handgelenk und führt deren Finger an ihre Brust. Zoe muss schlucken, und ich meine, im Rückspiegel Bernhards Halsschlagader pulsieren zu sehen. Wie in Zeitlupe legt Marc die Gitarre bäuchlings über seine Oberschenkel und tastet nach dem Haschischdöschen.
    Lilith hat Zoe fest im Griff und fest im Blick. »Die sind nicht aus Zuckerwatte«, sagt sie. »Du hast doch selber zwei.

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