Nächsten Sommer
herausstellte, dass der Vorsitzende sich einen nicht unbeträchtlichen Teil der öffentlichen Zuwendungen in Form von Kokain durch die Nase zog. Den Bus hat Marc dann bei einer Versteigerung erworben, inklusive handbestickter Sitzkissen mit lachenden Sonnen drauf sowie selbstgenähter Vorhänge in den Farben des Regenbogens. Wenn er mit einer Band auf Tour ist, glauben viele, es handle sich um eine schwule Lebenshilfeband namens »Straight Edges«, die den Drogen abgeschworen hat – bis Marc betrunken mit einem Groupie im Bus verschwindet und die Vorhänge zuzieht. Er sagt, er hat in seinem Leben noch nie so viel Spaß gehabt wie in seinem drogenfreien Bus. Bernhard meint, er solle doch wenigstens den Schriftzug übermalen, aber Marc glaubt fest daran, dass der Schriftzug wie ein Schutzschild funktioniert. Jedenfalls musste er noch nie einen Alkoholtest machen und ist noch nie gefilzt worden, auch wenn der Wunderbaum am Rückspiegel inzwischen selbst schon nach Dope riecht.
Seine besten Tage hat der Bus hinter sich. Und die meisten der weniger guten auch. Der dritte Gang bleibt nur noch drin, wenn man den Schalthebel festhält, das Schiebedach ist undicht, der Außenspiegel auf der Beifahrerseite mit Gaffa getapt. Bis Frankreich kein Problem, sagt Marc. »Solange du genug Gaffa im Auto hast, kann dir nichts passieren.«
Zoe mustert uns, als seien wir von einer Drückerkolonne. »Ach, ihr seid’s.«
|20| »Wen hast du denn erwartet?«, fragt Marc.
Sie sieht nicht so aus, als wolle sie die nächsten Tage in einem altersschwachen VW-Bus zubringen. Eher so, wie attraktive Frauen sich kleiden, wenn sie ganz beiläufig auf jemanden einen besonderen Eindruck machen wollen: Teures, aber schlichtes Kostüm, weiße Bluse, dezente Ohrringe, die Haare wie mit dem Pinsel über die Schulter drapiert.
Zoes Schönheit hat etwas Erhabenes, egal, was sie anzieht. Sie ist von der Art, dass jeder sie sofort versteht, ohne allerdings zu begreifen, warum. Wie eine Folge von Pentagonalzahlen. Als ineinandergeschachtelte Fünfecke dargestellt, ahnt man sofort ihre verborgene Schönheit, auch wenn man sie auf den ersten Blick nicht erkennt. Aus diesem Grund sind Pentagonalzahlen neben den Primzahlen auch meine Lieblingszahlen. Sie schreien einem ihre Symmetrie nicht gleich entgegen wie Quadratzahlen oder vollkommene Zahlen.
Was ich an Zoe am meisten mag, ist der nicht erhabene Teil. Es gibt eine Seite an ihr, die sie als Schwäche empfindet. Hat mit Gefühlen und so was zu tun. In seltenen Momenten dringt etwas davon an die Oberfläche. Ist wie eine Blase unter dem Teppichboden. Du kannst sie runterdrücken, aber dann kommt sie an anderer Stelle wieder hoch. Am meisten mag ich also an ihr, was sie am stärksten zu verbergen versucht.
In Zoes Wohnung geht gerade die Sonne auf. Das gesamte Treppenhaus riecht nach morgendlichem Aufbruch.
Marc tastet mit seinem Blick ihre Beine ab, bis er den Boden erreicht hat. »Nur ein Koffer pro Mitfahrer«, sagt er, »und Handgepäck nur bis fünfzehn Kilo.«
Zoe lehnt sich gegen den Türrahmen und wechselt das Standbein. »Hört zu«, sagt sie und streicht sich ihre Haare über die Schulter, die danach exakt so aussehen wie vorher. »Ich … ich komme nicht mit.«
Marc löst den Blick von ihren Absatzschuhen: »Was soll denn
das
heißen?«
»Dass sie nicht mitkommt«, sage ich.
»Ja«, sagt Zoe und wendet den Kopf ab, als suche sie etwas, »ich schätze, das heißt es wohl.«
|21| »Und warum nicht?«, fragt Marc.
Zoe verschränkt die Arme vor der Brust. Wenn sie eins nicht leiden kann, dann in die Defensive gedrängt zu werden: »Weil ich am Montag auf eine Konferenz nach Chicago fliege – sorry.«
Ich betrachte ihre Schuhe und wie sie den Fuß ihres Spielbeins auf dem Absatz leicht nach außen dreht. »Mit Ludger?«, frage ich.
Sie zieht die Schultern hoch und blickt sich wieder in der Wohnung um. »Sorry.«
Und plötzlich sind wir nur noch zu dritt.
Gleich sind wir nur noch zu zweit. Das denke ich, als wir auf dem Weg zu Bernhard sind. Wenn Zoe mitkäme, könnte Bernhard unmöglich hierbleiben. Aber was soll er in Frankreich, wenn sie in Berlin sitzt?
Als Marc gestern die Idee kam, nach Frankreich zu fahren, war Bernhard der Erste, der sagte, er könne nicht – wegen seines Jobs. Dabei hat er in den zwei Jahren, die er jetzt für »Nanotec« arbeitet, noch keinen Tag Urlaub genommen. In Wahrheit bringt er es nicht über sich, seine Mutter alleine zu lassen, die Parkinson
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