Nächsten Sommer
über meinen Vater. »Und was hat er gesagt?«, fragt sie.
»Der Notar?«
»Dein Vater natürlich.«
»Dass ich das mein Leben lang bereuen werde.«
»Nicht im Ernst!«
Statt zu antworten, zucke ich mit den Schultern.
Zoe sinkt in den Sessel zurück: »Wie kann der so was sagen?«, denkt sie laut, und weil es nicht wirklich als Frage gemeint ist, antwortet auch niemand darauf.
Endlich schaltet Bernhard den Fernseher aus: »Verstehe ich nicht – dein Vater hat doch sowieso schon alles.«
Die Antwort kommt von Marc: »Kann eben nicht genug kriegen.«
|10| Ziemlich lange hört man nur, wie die drei abwechselnd an ihren Bierflaschen nippen und sie anschließend auf den Korkuntersetzern abstellen. Außer Marc, der seine auf die Glasplatte klacken lässt. Er provoziert gerne, und Bernhard ist jemand, der das Provozieren provoziert.
Zoe knackt einen Möhrenstift: »Und du warst noch nie da?« Aus der Kastanie im Hof löst sich ein Vogel und schwingt sich in den Abendhimmel auf. »Ich kenne es nur von Fotos«, sage ich. »Von der Veranda aus kann man das Meer sehen.«
Marc kramt sein Haschischdöschen hervor und fängt an, sich eine Tüte zu bauen. »Das Meer?«, fragt er. »Im Ernst?«
»Geraucht wird auf dem Balkon«, erinnert ihn Bernhard.
»Glaube schon«, sage ich.
Marc leckt das Paper an und blickt in die Runde: »Und was machen wir dann noch hier?«
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|11| 2
Ich war sechs, als Onkel Hugo mir beibrachte, wie man Papierflieger faltet. Es war zu Weihnachten. Oma und Opa waren da, meine Eltern, mein Bruder Sebastian und Onkel Hugo. Opa allerdings nur noch körperlich. Er saß in dem Ohrensessel, die Arme auf den Lehnen, und lächelte fortwährend in sich hinein, als sei alles zu seiner Zufriedenheit. Seine Finger hingen von den Armlehnen herab wie welke Blätter, sein Kopf verschwand zur Hälfte im hell erleuchteten Fransenschirm der Stehlampe. Auf seiner Glatze glitzerten Schweißperlen, doch falls er sie spürte, störten sie ihn nicht. Er mochte es warm.
Sebastian hatte eilig die Verpackungen von den Geschenken gerissen und stand vor der Schrankwand, einen schwarzen Kasten mit Antenne und zwei Reglern in den Händen. Über den Boden raste ein Rennwagen, der ständig gegen eine Fußleiste oder ein Tischbein krachte.
»Nicht so!« Mein Vater beugte sich über ihn. »Gib her, ich zeig’s dir«, sagte er und entwand meinem Bruder den Kasten.
Meine Mutter saß schweigend auf dem Sofa, daneben Oma, einen Teller mit Vanillekipferln auf dem Schoß. In regelmäßigen Abständen ergriff sie eins mit spitzen Fingern, klopfte am Tellerrand den Puderzucker ab, führte es zum Mund und biss eine Ecke ab. Am Baum brannten lautlos die Kerzen herunter.
Neben der Blautanne türmte sich ein Haufen aus Geschenkpapier auf, der mir bis zur Schulter reichte. Hinter meinem Rücken kollidierte Sebastians Auto mit der Zimmertür und überschlug sich.
Onkel Hugo legte seine Hand auf meine Schulter. »Wenn du willst, zeige ich dir, wie man Papierflieger faltet.«
Ich nickte.
Er deutete auf den Haufen: »Such dir eins aus.«
Ich entschied mich für das nachtblaue Papier mit Sternenmuster, in das Sebastians Auto verpackt gewesen war. Onkel Hugo |12| zog sich den freien Sessel an den Tisch. Ich stellte mich neben ihn. Sein warmer Pfeifengeruch kitzelte mir in der Nase. Die Kunst bestand darin, so erklärte er mir, zu fühlen, wo der Schwerpunkt liegen musste, damit der Flieger sich nicht mit der Nase voran in den Boden bohrte oder steil nach oben wegdrehte, um anschließend auf dem Heck zu landen. Wenn nötig, konnte man ein Pfennigstück nehmen und es in den Rumpf schieben, um den Schwerpunkt zu verlagern.
»Du bist doch mathematisch begabt«, sagte Onkel Hugo, »wahrscheinlich kannst du es sogar besser als ich.«
Ich wusste nicht, was »begabt« bedeutete, aber ich wusste, dass niemand so gute Papierflieger falten konnte wie Onkel Hugo. Alle wussten das. Er weihte mich in ein großes Geheimnis ein.
Wir falteten ihn gemeinsam. Onkel Hugo wiederholte jeden Schritt, damit ich mir alles genau einprägen konnte. Ein blauer Nachtfalter mit Sternen auf den Flügeln. Er demonstrierte, wie ich ihn halten sollte.
»Hier«, sagte er und führte meine Finger an die entsprechende Stelle. »Spürst du, wie sich das Gewicht verteilt?«
Ich sagte, ich spürte es, war aber nicht sicher. Sebastians Auto hatte sich zwischen der Wand und einem Heizungsrohr verkeilt. Für einen Moment war es sehr still. Onkel Hugo führte
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