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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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Liebe machen.«
    »Jetzt, wo du es sagst …« Marc lächelt. »Sie hat mich schamlos ausgebeutet!«
    Das Problem war: In New Haven wurde niemand lange ausgebeutet, ohne dass andere davon Wind bekamen. Eines Abends lauerte Huwen ihnen auf, und als Marc mit notdürftig hochgezogener Hose zur Flucht ansetzte, statt sich wie ein Mann dem Kampf zu stellen, schoss ihm Huwen kurzerhand in die Wade, »da rein, da raus«.
    Marc nimmt Jeannes Finger und führt sie um die Wade herum zu der Stelle, an der die Kugel ausgetreten ist. Unwillkürlich zieht Jeanne ihre Hand zurück. Er sagt es ihr nicht, doch ich weiß, dass bei dem Schuss eine Sehne zerfetzt wurde und sein Fuß heute deshalb beim Gehen diese Schlenkerbewegung macht.
    |197| »Seitdem bin ich nie wieder mit einer Frau ins Bett gegangen …«
    Jeanne nimmt ihren Kopf von Marcs Schulter und sieht ihn verwundert an.
    Marc fängt an zu lächeln: »… die einen Freund hat«, beendet er den Satz. »Hab ich mir geschworen: Nie wieder eine Frau, die einen Typen hat.«
     
    Bernhard legt sich als Erster hin. Er kann nicht mehr. Erst das stundenlange Treppenlaufen, dann der Wein und der Champagner, jetzt noch der Joint … Und nicht zuletzt dieses Zeug, das seinen Stoffwechsel so auf Touren bringt, dass er die ganze Zeit atmet wie auf einer Himalayaexpedition. Er rollt sich neben dem Bett im Schlafzimmer eine Isomatte aus und geht sich die Zähne putzen. Kurz darauf erscheint er in der Terrassentür. In seinem längsgestreiften Pyjama sieht er aus wie ein Konfirmant. Er winkt in die Runde. »Nacht, allerseits.«
    Wir nehmen die Kerzen und ziehen ins Wohnzimmer um. Jeanne und Marc bekommen das Sofa, damit Jeanne ihr Bein hochlegen kann. Bald werden sich ihre Augen schließen. Zoe zieht uns die beiden Sessel heran und verteilt den letzten Champagner auf die Gläser. Abwesend tastet Jeannes Hand nach der Narbe in Marcs Wade. Dabei macht sie ein Gesicht, das alles Mögliche bedeuten kann: Zu schade; armer Marc; Connecticut …
    »Würdest du sagen, dass du einen Freund hast?«, fragt er.
    In Jeannes Lächeln spiegelt sich ein Leben voller verpasster Möglichkeiten: Amerika, ihr Kunststudium, Männer, die es hätten sein können, aber nie waren, Jürgen, der es geworden ist und nie hätte werden sollen. »Ich fürchte, ja.«
    »Dann können wir also nicht … faire l’amour?«
    »Ich fürchte, nein.«
    »Zu dumm …« Seine Hand streicht durch Jeannes Haar, während sein Blick in die Nacht hinaus wandert. Er scheint völlig vergessen zu haben, dass Zoe und ich auch noch da sind. »Alles nur wegen eines schießwütigen Footballspielers …«, überlegt er.
    So behutsam wie mit Jeanne habe ich Marc noch nie mit einer Frau umgehen sehen. Vielleicht war es mehr als ein dummer |198| Spruch, als er sagte, er wolle ihretwegen ein besserer Mensch werden – ein Hedonist wie er.
    »Aber sag mal …«, fährt er fort. Inzwischen hat Jeanne ihre Augen geschlossen. »Gemeinsam auf dem Sofa liegen … das wär doch okay, oder?«
    »Ich denke, ja.«
    Vorsichtig hebt Marc Jeannes Kopf an, kuschelt sich hinter sie und schiebt seinen Arm unter ihrem Nacken hindurch. Im Halbschlaf verschränken sich ihre und seine Finger ineinander. Das Geheimnis, denke ich, die chemische Formel, wird man nie ergründen.
    Zoe, die sich heute mehr mütterliche Gefühle gestattet als in den letzten 26 Jahren zusammengenommen, breitet eine Wolldecke über die beiden und bläst die Kerzen aus. In der Dunkelheit greift sie nach meiner Hand.
    »Ab ins Bett«, flüstert sie.
    »Ja, Mutti«, antworte ich und lasse mich von ihr aus dem Sessel ziehen.
    »Kann es sein, dass du einen sitzen hast?«
    »Kann sein, Mutti.«

|199| 37
    Es ist kurz nach zwei, als ich aus dem Schlaf aufschrecke. Bernhards Stoffwechsel ist immer noch schwer beschäftigt. Zoe dagegen, die auf der anderen Seite des Bettes liegt, atmet kaum hörbar. Der Mondschein teilt das Bett in zwei Hälften. Meine ist die dunkle. Zoe liegt auf dem Rücken. Ihr Gesicht ist zur Seite geneigt und wird von ihrem Haar verdeckt. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich zentimeterweise. Das weiße Laken schimmert wie flüssiges Silber. Zoe scheint darin einzutauchen. Eine Weile widerstehe ich dem Impuls, ihr die Haare aus dem Gesicht zu streichen, dann stehe ich auf.
    Marc und Jeanne liegen in unveränderter Stellung auf dem Sofa und schlafen. Leise gehe ich um sie herum, durch den Flur und ins Arbeitszimmer. Bevor ich das Licht einschalte, bereite ich mich im Geiste darauf

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