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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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tut, entweicht auch das restliche Blut aus meinem Körper.
    »Willst du dich vielleicht hinlegen?«, fragt sie mit wattierter Stimme. »Du siehst ganz grün aus.«
    »Ach, ich auch?«, frage ich und beginne zu lachen, was keiner versteht, ich nicht und die anderen nicht und am wenigsten Jeanne, die überhaupt immer weniger zu verstehen scheint, was seit gestern mit ihrem Leben passiert. »Weißt du was, Zoe?« Ich lache immer weiter. Die anderen sehen mich sorgenvoll an. »Ich glaube, das möchte ich tatsächlich«, sage ich. Und falle in Ohnmacht.

|190| 36
    Ich wache auf, als mir der Geruch von gebratenem Fisch in die Nase steigt. Es ist sieben Uhr abends. Ich liege auf dem Sofa und frage mich, ob ich die Schachpartie mit meinem Vater nicht nur geträumt habe. Doch dann höre ich die Vögel im Garten und spüre die Abendbrise, die aus der Bucht heraufzieht und sich unterwegs mit dem Duft der Pinien mischt, und ich weiß wieder, wo ich bin und dass es tatsächlich passiert ist.
    Zoe steht in der Küche, hantiert mit zwei Pfannen gleichzeitig und hat eine Schürze umgebunden. Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals kochen gesehen zu haben, und in Schürze schon gar nicht.
    »Ich war einkaufen«, erklärt sie und deutet entschuldigend auf den Herd. »Der Fisch war ganz frisch.«
    »Ich habe sechs Stunden geschlafen«, sage ich.
    Zoe dreht mir ihr Gesicht zu, wischt sich die Hand an der Schürze ab und lächelt: »Irgendwann ist immer das erste Mal. Gib mir doch mal eine Zitrone rüber.«
    Auf dem kleinen Tisch vor dem Fenster steht eine Holzschale mit frischem Obst. Ich nehme eine Zitrone und bringe sie ihr. Zoe hat geduscht. Ihre Haare fallen schwer über die Schultern und riechen nach Pfirsich.
    »Wo sind die anderen?«, frage ich.
    »Jeanne und Marc wollten sich das Meer angucken, und Bernhard läuft seit einer Stunde die Stufen zur Bucht rauf und runter.«
    Durch die Bäume hindurch erkenne ich Bernhards Kopf, der kurz am Ende der Treppe erscheint und gleich darauf wieder verschwindet. Ich schneide mir ein fingerdickes Stück Käse und eine Scheibe Baguette ab.
    »Was ist?«, frage ich mit vollem Mund.
    Zoe fährt mit einem Messer durch die Butter und streift es am |191| Pfannenrand ab. »Wer nichts isst, braucht auch keinen Schlaf«, wiederholt sie meinen Satz von heute Mittag.
    Die Ränder des Butterstücks verflüssigen sich und werfen Blasen. Kurz darauf ist es vollständig geschmolzen. Zoe hebt die Pfanne an, und die Butter läuft in Streifen über den Boden.
    »Danke«, sage ich.
    Zoe weiß sofort, was ich meine. »War mir ein Vergnügen.« Vorsichtig legt sie einen Fisch in die Pfanne, in der es sofort zu brutzeln beginnt. »Weißt du, ich hatte keine Ahnung, dass dein Vater wirklich so ist. Marc hat immer nur Andeutungen gemacht …«
    Ich schneide das nächste Stück Käse ab, Kuhkäse, buttergelb, würzig, dickrandig und fett. »Was für Andeutungen?«, frage ich.
    »Hey, es gibt gleich Essen! Schlag dir nicht vorher schon den Bauch voll.« Sie legt den nächsten Fisch in die Pfanne. »Andeutungen halt … Nichts Konkretes. Dass deine Mutter zu schwach war, um zu gehen, und du zu stark, um zu bleiben.«
    Ich frage mich, ob das stimmt. Stark gefühlt habe ich mich nie. »Kann ich helfen?«, frage ich.
    »Mach den Wein auf, und schenk uns ein Glas ein.«
     
    Der Tisch auf der Terrasse ist festlich gedeckt. Die anderen sind noch nicht zurück, doch Zoes Hunger duldet keinen Aufschub. Sie drückt mich in den Stuhl, das Haus im Rücken, und verschwindet mit den Tellern in der Küche. Als sie zurückkommt, hat sie keine Schürze mehr um, dafür ein Küchentuch über dem Arm. Es gibt gebratene Rotbarben mit Knoblauch, Zitrone und Salbei, dazu Ofenkartoffeln und grünen Salat in Extraschälchen. Außerdem einen perfekt temperierten Weißwein.
    »Ist aus dem Regal deines Onkels«, gesteht Zoe. »Ich hoffe, das war in Ordnung.«
    »Jetzt, wo du meine Anwältin bist …«, antworte ich.
    Sie schenkt uns nach: »Das war schon wieder ein Witz, stimmt’s?«
    »Ja.«
    »Hm.«
    Wir sitzen nebeneinander, so haben wir beide die Bucht im |192| Blick. Die Sonne neigt sich dem Horizont entgegen. Wir sehen sie nicht, doch ihr Licht verfängt sich zwischen den Bäumen und färbt die Luft rot. Der Himmel über uns ist glasklar und von einem tiefen Blau.
    »Merkwürdig«, sage ich, »dass das Haus auf der Aufnahme gar nicht zu sehen ist.«
    »Vielleicht ist es ein Zauberschloss – wie im Märchen.«
    »Du meinst, es kann nur

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