Nächsten Sommer
von denen gefunden werden, für die es bestimmt ist?«
»Wer weiß.«
Ich habe mein erstes Stück Fisch auf der Gabel, als ich die Silhouette eines Mannes schwerfällig auf das Tor zukommen sehe. Mein Vater, denke ich und stütze die Gabel am Tellerrand ab. Doch es ist Bernhard. Er lächelt erschöpft, als er durch das Tor kommt. Ein Krieger nach siegreicher Schlacht gegen sich selbst. Ich stelle mir vor, wie die Stufen, die zur Bucht hinunterführen, von seinem Gerenne ganz weichgetreten sind und in der Mitte durchhängen.
»Das riecht ja köstlich«, lobt er Zoe. »Ich geh nur schnell duschen.«
Ich nehme einen zweiten Anlauf mit dem Fisch.
»Du, sag mal: Dein Vater«, setzt Zoe an, »was macht der eigentlich? Ich meine, wie ist er zu seinem ganzen Geld gekommen?« »Kaffeehandel, international.«
Sie nimmt einen Schluck und dreht das Glas zwischen den Fingern: »Und wie ist er sonst so – als Mensch?«
Zoes eigener Vater ist früh gestorben. Ihre Erinnerung an ihn hat ihr nicht mehr als ein vages Geborgenheitsgefühl zu bieten. Alles, was sie über Väter weiß, ist das, was sie und ihre Mutter sich zwanzig Jahre lang erträumt haben. Sie kann sich nicht vorstellen, dass ein Vater irgendetwas anderes mit seinem Kind macht, als es bedingungslos zu lieben.
»So, wie du ihn erlebt hast«, antworte ich, »gewinnorientiert.« Es gibt keinen Unterschied zwischen meinem Vater als Familienvater und meinem Vater als Geschäftsmann. Zweifel sind für ihn eine Charakterschwäche. Immer das Maximum rausholen. Solange die Kaffeebauern unterschreiben, kann es ihnen
so
schlecht |193| nicht gehen. »Als Privatmann fliegt er gerne nach Kenia und geht auf Safari. Er sagt, wenn man Tiere erlegt, die größer sind als man selbst, weiß man, was es bedeutet, ein Mann zu sein.«
Zoe trinkt ihr Glas aus und stellt es ab. »Vielleicht
muss
man ein gewisses Maß an Rücksichtslosigkeit mitbringen, wenn man richtig erfolgreich sein will.«
Ich habe das Gefühl, dass es Ludger ist, an den sie dabei denkt, und dass sie nach einer Entschuldigung dafür sucht, weshalb sie sich ihm nicht entziehen kann. Endlich schlucke ich den Fisch herunter. Er ist köstlich.
»Kommt darauf an, welche Maßstäbe man anlegt«, antworte ich.
Zoe füllt mein Glas nach, obwohl ich erst zwei Schlucke getrunken habe. Bereits jetzt spüre ich den Alkohol warm in meinen Adern kreisen.
»Soll heißen?«, fragt sie.
Ich versuche, meine Gedanken auf den Punkt zu bringen. Klappt wie immer nicht so richtig. Schließlich sage ich: »Wenn der Preis für meine Rolex ist, dass jemand anderes seine Familie nicht ernähren kann – bedeutet das Erfolg?«
Zoe überlegt, was das für sie bedeutet, wie sie dazu steht. Gewinnmaximierung ist ein Wort, das großen Reiz auf sie ausübt.
»Hast du das deinem Vater mal gesagt?«
»Hab ich.«
»Und – was hat er geantwortet?«
»Dass
ich
mir darüber keine Gedanken machen soll – ich würde es garantiert nie zu einer Rolex bringen.«
Zoe will noch etwas sagen, doch bevor sie herausgefunden hat, was es ist, kommen Bernhard aus dem Bad und Jeanne und Marc durch das Gartentor.
Wir essen, reden, trinken, lachen. Jeanne hat ihren verbundenen Fuß hochgelegt und sieht aus, als könne sie ihre neu gewonnene Freiheit noch gar nicht fassen. Zoe wird so lange für ihr Essen gelobt, bis sie damit rausrückt, dass es das einzige Rezept ist, das sie auswendig kennt. Sie hat es für Ludger gelernt, weil der so gerne Fisch isst und sie ihn so gerne beeindrucken wollte.
|194| »Also, für diesen Fisch hätte
ich
meine Frau sofort sitzenlassen«, sagt Marc und schiebt sich genießerisch ein Filetstück in den Mund.
Wir überlegen, wo Lilith gerade stecken könnte und wie es ihr wohl geht.
»Gibt es Lesben in Pui?«, fragt Marc.
»Leben?« Jeanne zieht die Brauen in die Höhe. »Nicht viel, würde ich sagen. Nur …«
»Nicht Leben – Lesben? Schwule Frauen.«
»Mon dieu! No!«
»Wenn sie ihren Rucksack gefunden hat, ist sie garantiert längst woanders«, meint Bernhard. Womit er recht hat. Doch das können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.
»Vielleicht legt sie ja gerade ihren ersten Steinzeitfund frei. Hier in der Gegend gibt es eine Menge Vorzeitliches.« Marc erhebt sein Glas: »Auf Lilith. Coole Braut.«
Wir stoßen an. Nach einer kurzen Gedenkpause sagt Zoe entschuldigend: »Der Nachtisch ist nicht selbst gemacht.« Essen scheint die einzige Kategorie zu sein, in der sie heute denken kann.
Es gibt
Weitere Kostenlose Bücher