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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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Crème brûlée in Aluschälchen mit Abziehdeckeln. Schmeckt trotzdem. Die Stimmung schwebt zwischen selbstgenügsam und ausgelassen. Wir haben tatsächlich unser Ziel erreicht – und meinen Vater in die Schranken verwiesen.
    Eine laue Abendstimmung senkt sich auf den Garten herab. Die Konturen verlieren an Schärfe und lösen sich schließlich auf. Zoe zündet Kerzen an. Marc baut sich seinen Guten-Abend-Joint, Zoe holt einen Champagner aus dem Nachlass. Als wir anstoßen und uns überlegen, worauf wir jetzt trinken sollen, ist es Marc, der aus diesem Abend und vielleicht sogar aus den letzten Tagen einen einzigen Satz destilliert: »Ein paar Freunde und ein geiler Ort – mehr braucht es eigentlich nicht.«
    Neben Bernhards Champagnerkelch steht ein Wasserglas, in das er ein neongelb fluoreszierendes Pulver einrührt.
    »Wofür ist das?«, fragt Jeanne, weil sie sich nicht vorstellen kann, dass jemand so etwas freiwillig trinkt.
    »Regt den Stoffwechsel an«, erklärt Bernhard.
    |195| Das Wort ist neu für Jeanne. Nach einiger Überlegung sagt sie: »Du trinkst das, und danach ziehst du dir neue Kleider an?«
    Bernhard erklärt ihr, was Stoffwechsel bedeutet und wie er funktioniert.
    Als er mit seinen Ausführungen fertig ist, sagt Marc: »Ich wusste gar nicht, dass man den anregen muss.«
    »Wenn du dein Fett in Muskelmasse umwandeln willst, schon.«
    Marc hält seinen Joint in die Runde. Jeanne beäugt ihn, zieht die Schultern hoch, sagt: »Pourquoi pas?«, und nimmt ihn.
    Marc beugt sich zu Bernhard hinüber und zwickt ihn in die Hüfte: »Was willst du denn da umwandeln?«, grinst er. »An dir ist nicht mehr Fett als an der Gräte auf deinem Teller.«
    »Ganz genau«, kontert Bernhard und schnappt sich den Joint. »Weil ich nämlich immer brav dieses Zeug hier trinke.«
    Er zieht am Joint und grinst in die Runde. In den letzten drei Tagen hat er mit mindestens einem halben Dutzend Prinzipien gebrochen. Aber was rede ich: Ich sitze hier und trinke Champagner.
     
    Marc und Jeanne haben ihre Stühle so nah zueinander gerückt, dass sie ihren Kopf an seine Schulter lehnen kann. Was zwischen den beiden passiert, ist schwer zu begreifen. Erkennen, sie haben einander erkannt. Manchmal gibt es das. Es wird kühl. Marc hat sich einen seiner Kapuzenpullis übergezogen, doch er ist noch immer barfuß und in Shorts. Mit seinen zerzausten Locken sieht er aus wie ein Surferklischee. Seine Füße hat er gegen Bernhards Stuhl gestemmt. Jeanne streichelt versonnen seine Wade.
    Ich betaste den Tisch und stelle fest, dass sich das Holz merkwürdig fremd anfühlt. Dann wird mir klar, dass es nicht das Holz ist, sondern dass ich es bin. Zwei Gläser Weißwein und ein Glas Champagner haben meine Finger sich selbst entfremdet. »Das ist lustig«, sage ich, ohne dass jemand etwas damit anfangen kann. Irgendwann verschwinden Bernhard und Zoe in der Küche und kümmern sich um den Abwasch. Ich biete meine Hilfe an, doch Zoe legt mir eine Hand auf den Arm und sagt: »Du bleib mal schön sitzen.« Als sei ich krank oder so.
    »Fängst du jetzt an, mich zu bemuttern?«, frage ich.
    »Stehst du drauf, hm?«
    |196| Ich überlege kurz. »Glaube schon.«
    Ihre Finger fahren durch meine Haare, wobei ihre langen Nägel meine Kopfhaut kitzeln. Für einige Sekunden verweilt ihre Hand in meinem Nacken. »Keine Sorge«, antwortet sie, »morgen bin ich wieder ganz die Alte.«
    Glaub ich nicht, denke ich.
    Jeannes Finger haben Marcs Narbe ertastet und erkunden sie. Als auch Jeanne selbst merkt, was ihre Finger da tun, untersucht sie die Vertiefung. »Wo hast du das her?«, fragt sie.
    »Aus Amerika mitgebracht«, antwortet Marc und erzählt von seinem Jahr als Austauschschüler in New Haven, Connecticut, dem Geburtsort George Bushs. Marc hatte gleich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Jedenfalls: Während seines Jahres auf der Hillhouse High School fing er an, mit Kim rumzumachen. Kim spielte Cello, mitleiderregend, war ansonsten ganz aus rosa Plastik und eigentlich gar nicht Marcs Typ, aber irgendwie war sie auch heiß und außerdem mit Huwen zusammen, und, ja, zugegeben, das »reizte mich«. Huwen war Tight End in der Footballmannschaft, hundert Kilo Muskeln. Marc kam aus Europa und spielte Gitarre auf dem Talent-Festival, Huwen war der Footballstar der Schule, stinkreich und hatte außerdem ein Harvard-Stipendium in der Tasche.
    »Mit andere Worte«, fasst Jeanne zusammen: »Ihn wollte sie heiraten, aber mit dir wollte sie faire l’amour –

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