Nächsten Sommer
und in seinem Alukoffer zu verstauen, der wie eine Fototasche in kleine Quadrate unterteilt ist, setze ich mich auf das Sofa und sehe Zoe beim Packen zu. Die Morgensonne erfüllt das Haus mit einem diffusen Licht – als würde es von innen heraus leuchten. Es duftet nach Harz und schweren, süßen Blüten. Später, wenn die erste Wäsche getrocknet sein wird, werden meine T-Shirts diesen Geruch angenommen haben.
Zoe scheint mich bereits seit einer ganzen Weile anzusehen. Sie hält ein türkisfarbenes Kleid an den Trägern, das ihr gleich aus den Händen rutscht.
»Das hast du gar nicht getragen«, sage ich.
Sie sieht es an, verstaut es im Koffer und setzt sich zu mir auf das Sofa. Im Garten tobt das Leben: Vögel paaren sich, Insekten schlürfen Nektar, die Blüten wetteifern darum, welche den betörendsten Duft hervorbringt.
»
Möchtest
du, dass ich bleibe?«, fragt sie.
Ja, ich will. Niemand kann die Zeit anhalten. Doch was macht das schon? Zwei, drei Tage, das ist doch schon sehr viel. Wir sind |231| kein Paar, sind nicht füreinander geschaffen, werden es nie sein. Für jemanden, der Karriere machen wolle, hat Zoe mir einmal erklärt, gebe es nur eine Regel: Move up or move out. Das unterscheidet uns. Sie will »up«, ich »out«. Diese Kluft werden wir nie überbrücken. Vielleicht. Sicher sein kann man sich nie.
»
Möch
test du denn bleiben?«, frage ich.
Zoe beugt sich vor, verschränkt ihre Hände ineinander und klemmt die Ellenbogen zwischen die Oberschenkel. Ihre Finger berühren beinahe den Boden. »Kannst du nicht einfach sagen, ich soll?«
Ihr Mund macht etwas, von dem nicht einmal sie selbst weiß, was es bedeuten soll. Wir sehen uns an. Erst will sie nicht mitkommen, dann will sie nicht zurück. Benno kommt mir in den Sinn – der autistische Junge aus der Kita, der morgens nicht von zu Hause wegzubekommen ist und nachmittags nur aus dem Bus steigt, wenn seine Oma ihm das Versprechen gibt, mit ihm in die »Waschküch« zu gehen.
»Du bist wie Benno«, sage ich.
Dann gehe ich hinaus in den Garten.
Der Bus ist ein Bild des Jammers. Ein müder Krieger nach geschlagener Schlacht, der nur noch einen Wunsch kennt: zurück nach Hause, zu Frau und Kind. Die Front- und Heckscheibe sind geborsten, das Schiebedach ist mit Gaffa geklebt, der Außenspiegel sowie die hintere Stoßstange sind auf dem »Feld der Ehre« zurückgeblieben.
Bei den Insassen sieht es kaum besser aus. Bernhard hat in Feldherrenhaltung auf dem Beifahrersitz Platz genommen, das Herz gebrochen, doch den Kopf aufrecht, den Blick in die Vergangenheit gerichtet. Zoe hat ihm ein Seidentuch vermacht, das farblich zu seiner Schiene passt und ihm als Armschlinge dient.
Lilith sitzt am Steuer. Statt einer Nase hat sie eine blau-gelb-rot gescheckte Kartoffel im Gesicht. Sie lacht, unter Schmerzen, doch sie lacht. Das Leben ist eine Wundertüte, und das Beste liegt noch vor ihr. Jeanne und Marc teilen sich die Rückbank. Jeannes Ferse tut noch weh, aber Humpeln geht wieder. Gleiches gilt für |232| Marcs Nacken: wird schon. Er hat noch immer dieses Fiepen im Ohr, doch es entfernt sich von Stunde zu Stunde.
Der Auspuff klappert nicht mehr. Als Lilith den Bus wendet und die müden Reifen nach Norden lenkt, liegt er vor mir auf dem Asphalt. Dafür stößt der Bus jetzt eine Rauchwolke aus und prustet angeberisch. So reiten sie vom Hof.
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|233| Epilog
Die erste Station auf ihrer Rückreise ist Marseille. Marc möchte sich Zeit lassen und Jeanne ein bisschen was von der Welt zeigen, bevor sie nach Berlin fahren. Schließlich ist sie kaum je aus ihrem Kaff herausgekommen. Kann ein paar Tage dauern. Also setzen sie Bernhard und Lilith am Flughafen ab. Die haben es eiliger.
Bernhard muss Formulare ausfüllen, einen Grabstein aussuchen, den passenden Bibelspruch finden. Bis jetzt hat er sich dem stets verweigert. Er dachte, solange es keinen Grabstein gibt, keine Inschrift und keinen Liegeplatz, würde seine Mutter auch nicht sterben. Lilith muss die Scherben ihrer Beziehung zusammenkehren und zusehen, wie sie daraus als Miss Indiana Jones hervorgehen kann. Bevor sich die gläsernen Schiebetüren hinter ihnen schließen, umarmt jeder jeden. Wir sehen uns. Nächsten Sommer.
Während Bernhard und Lilith zwischen Menschen aus aller Welt in der Abfertigungshalle sitzen und darauf warten, dass ihr Flug aufgerufen wird, zuckeln Jeanne und Marc auf der A 51 Richtung Grenoble, lassen sich von Schwertransportern überholen und
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