Naechte am Rande der inneren Stadt
Zeit, in der Vollkornbrötchen zu essen noch immer eine revolutionäre
Geste war. Es war eine Zeit, von der wir glaubten, dass sie niemals enden würde, dass wir die Wälder schützen müssten und
den Reichtum anders verteilen, langsam und beharrlich.
Ich aber aß weißen Toast und trug die Seidenhemden meines Vaters, und ich liebte ein Mädchen, ein Mädchen namens Eva. Doch
einer kam und hat sie mir genommen, er war mein bester Freund. Vorbei die Nächte, in denen ich meine Beine um Evas weichen
Körper schlang, meine Hand auf ihrer Hüfte hielt oder ihre Hände auf meiner Brust fühlte, wenn sie sich zum Einschlafen an
meinen Rücken schmiegte.
Es war auch die Zeit von
Hard Rock
und
Heavy Metal
. In die Wohnung unter Evas zog ein Typ ein, der nachts spät nach Hause kam und seine Anlage dröhnend aufdrehte. Evas Tisch
wackelte, wir taten kein Auge mehr zu. Meine Versuche, ihn um Ruhe zu bitten, scheiterten. Er sah mich nur müde an und zuckte
mit den Schultern. Er sah aus, als hätte jemand einen Mehlsack über ihm ausgeschüttet; sein Gesicht war aschfahl. Wir legten
Mozart auf, aber es half nicht viel. Ich glaube, ich muss mir etwas Neues suchen, sagte Eva und schüttelte den Kopf.
Manchmal sagte sie: Ich liebe dich.
Und meine Uhr lief.
|53| 4
Ich traf Robert und unsere alte Clique bei Harros Geburtstag wieder. Ich ging allein hin. Es war Ende Februar (das ist sicher,
denn an Harros Geburtstag hat sich nichts geändert), und es war sehr kalt.
Wir feierten in einem großen Lokal mit Altberliner Küche und Lichterketten, das Eva sicher spießig genannt hätte.
Die Jungs und ich hatten uns eine Weile nicht gesehen und freuten uns. Robert umarmte mich. Er hatte die Haare, die er zu
Schulzeiten meistens lang getragen hatte, säbelkurz abgeschnitten. Seine dunkelbraunen, eigentlich sanften Augen wirkten dadurch
unangenehm soghaft, auch die Backenknochen stachen härter aus seinem Gesicht hervor; er wirkte blass und leicht abgemagert.
Er trug einen auffallenden goldenen Ohrring.
Biste jetzt andersrum geworden? zog Harro ihn auf.
Robert legte nur den Kopf nach hinten und grinste verächtlich.
Okay, okay, machte Harro, mit beiden Händen in der Luft fuchtelnd.
Alle kuschten irgendwie vor Robert. Keiner konnte es erklären, es war immer so gewesen.
Wir tranken ziemlich viel und nahmen uns vor, dass wir uns künftig wieder häufiger treffen sollten, um vielleicht auch mal
Billard zu spielen. Wir redeten miteinander, als wären wir alte Männer, die sich an den Krieg erinnern und sich nichts Neues
zu erzählen haben. Wir redeten von den wild bewachsenen Ruinen und Müllhalden, wo wir zusammen Bier getrunken und die ersten
Zigaretten gepafft hatten. Die anderen hatten dort zusammen um die Wette
gewichst,
sie erwähnten es wie nebenher und machten Witze darüber, als müssten sie beweisen, wie
cool
sie waren. Ich bekam einen komischen Geschmack im Mund.
|54| Robert hatte an diesem Abend etwas an sich, das mich befremdete. Wie er zwischen den Tischen hin und her schlich und die Leute
ansah. Wie er den Raum im Auge zu behalten schien, während er mit jemandem sprach. Wie er den Mädchen Alkohol einschenkte,
ohne selbst einen Tropfen zu trinken. Ich beobachtete ihn wie ein bizarres, vielleicht krankes Tier. Meine ganze Wahrnehmung
schien mir in der Begegnung mit den Freunden verrutscht. Ich musste mich konzentrieren. Es war mir unangenehm. Aber auch meine
Freunde sahen mich neugierig und misstrauisch an.
Plötzlich wurde mir klar, was es war. Es lag an dem, was Eva mit mir machte. Eva hatte mich verändert. Eine Welle der Einsamkeit
zog von meinen Schultern den Nacken hoch. Es kam mir vollkommen absurd vor, die Zeit mit anderen zu verschwenden. Mein Körper
war in Aufruhr, wenn ich nicht in Evas Nähe war. Ich wollte zu ihr, schnell.
Ich verabschiedete mich, es war noch vor Mitternacht.
Was, jetzt schon? Harro war enttäuscht.
Lass man, sagte ich tröstend, wir sehen uns ja bald wieder.
Na gut, knurrte Harro gespielt. Dann schlug er mir gewohnt freundschaftlich auf die Schulter.
Nächstes Mal bringste aber dein Mädchen mit!
Er zeigte seine schiefen Zähne und sah mich vielsagend an. Er hatte noch weniger Haare auf dem Kopf als zuletzt, dafür ließ
er sie länger herabhängen.
Als ich schon zur Tür hinaus war, stand Robert plötzlich neben mir.
Trinken wir noch einen? fragte er.
Ich weiß nicht, sagte ich.
Komm ruhig nachher zu mir
, hatte ich Evas
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