Naechte am Rande der inneren Stadt
ihre Hand warm und lebendig in meiner. Ein Schluchzen mühsam unterdrückend, küsste ich sie.
Von da an brach etwas schwer Erklärliches in mir auf. Ich schlief mit Eva, und es war, als wüsste ich nicht mehr, wo mein
Körper aufhörte und ihrer begann. Es war, als würde sie meine Haut von innen berühren. Es machte mich glücklich, doch zugleich
befielen mich Alpträume. Alpträume im Schlafen, aber auch im Wachen. Wenn ich an ihrer Haut atmete, oder durch sie hindurch,
konnte es passieren, dass diese Träume mich packten. Ich fing an, laut zu fantasieren, was ich sah und was mir Angst machte.
Theo Hölt, schlechte Zähne, andere Männer, andere Mädchen, Eva dazwischen, Körper in dunklen Zimmerecken, Beine, Brüste, Küsse,
alles. Es machte mich noch verrückter nach ihr. Ich empfand eine Lust darin. Eine unheimliche Lust. Sie nahm es, irritiert,
als Ausdruck meiner Liebe. Dann flehte ich sie an, mich zu Hölt oder irgendeinem anderen Künstler mitzunehmen und mich |50| zusehen zu lassen, wie sie miteinander schliefen. Ich bat sie, mir alles zu erzählen, was sie früher mit ihm und anderen getan
hatte. Sie sagte Nein.
Ich tobte. Ich schämte mich.
Doch dann sagte ich wieder solche Dinge, es war wie ein Sog. Ich war wie besessen. Ich überantwortete mich ihr vollkommen.
Ich fantasierte, wie sie mit anderen schlief, während ich es mit ihr tat. Manche Fantasien erregten schließlich auch sie und
sie schrie.
Sie sah mich oft traurig an. Dann fuhr sie mit ihren Fingern durch mein Haar und küsste meine zitternden Lippen.
Und manchmal wurde sie wütend. Sie setzte sich auf mich und klemmte mich mit ihren Beinen ein. Sie stieß ihre Hüften immer
heftiger gegen meine, und wenn ich den Kopf zur Seite drehen wollte, zwang sie mich, ihr in die Augen zu sehen. Wenn ich flehend
ihren Namen sagte, hielt sie mir den Mund zu. Wenn ich sie küssen wollte oder ihre Brüste berühren, packte sie meine Handgelenke
und drückte sie aufs Bett. Ist es das, was du willst? fragte sie böse, und ich kam. Ich kam wider Willen, ich schämte mich,
und zugleich empfand ich die allergrößte Lust.
Als wir zum ersten Mal auf diese Weise miteinander geschlafen hatten, weinte Eva.
Ich kannte mich nicht mehr. Dieser Mensch, der ich da wurde, war mir neu. Er war mir unbegreiflich nah. Ich wollte ihn, und
ich hasste ihn.
Mein Schlaf wurde dumpf. Ich bekam Probleme mit den Augen. Sie brannten, die Zeilen verschwammen. An manchen Tagen fühlte
ich mich von allem entfernt; ich verfolgte mit Mühe meine Vorlesungen; ich bekam Migräne. Opa war besorgt. Er gab mir Tabletten
und schlug vor, ich sollte mehr Sport treiben. Eva fand, ich sei zu blass. Sie war liebevoll zu mir; doch je liebevoller sie
war, desto mehr wollte ich, dass sie |51| mich quälte. Ich war süchtig danach. Nach dem, was ich als
schamlos
empfand. Als
Außer-mir-sein
. Es machte mich blank vor Erregung.
Einmal, als wir uns völlig aufgelöst ineinander verkeilt hatten und es nicht aufhören wollte und ich mich fühlte und nicht
mehr fühlte, ließ ich mich hinreißen zu flüstern: Schlag mich, Liebste, ich bitte dich.
Doch sie schloss nur die Augen und wandte ihr Gesicht stumm zur Seite.
Ich besuchte mit ihr alle Ateliers, ich war geradezu versessen darauf, sie dort zu beobachten, bis sie mir auswich und ihre
Besuche verschwieg, aber das war vielleicht später. Manche Tage verbrachte ich im Halbschlaf und onanierte verzweifelt; es
kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dabei waren es vielleicht zwei, höchstens drei Wochen, in denen uns diese Dinge widerfuhren.
Ich habe keine Chronologie der Liebe, und damals hatte ich auch keine Worte, die ich in einen Kalender hätte eintragen können,
so wenig wie für das silberne Licht, das sich bei Regen auf die Straßen legt und leuchtet, wenn ich manchmal nachts spazieren
gehe.
Plötzlich war alles wie weggefegt.
Opa kam auf die Idee, ich könnte eine Brille gebrauchen. Tatsächlich registrierte ich, wie sehr es mich anstrengte, klein
gedruckte Texte zu lesen. Ich bekam eine Brille, und alles war wieder gut.
So kommt es mir vor, so fällt es in der Zeit zusammen.
Warum verhängt man Spiegel, wenn jemand gestorben ist?
Ich hielt mich für einen durch und durch rationalen Menschen.
|52| Es war in der Zeit, in der viele Häuser besetzten und die Wände lila strichen und in den Fluren vergilbte Plakate von Che
Guevara hingen wie das Foto eines fernen Onkels, eine
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