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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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eigenen Haut.
    Doch die meisten Nächte verbrachten wir zusammen. In den meisten Nächten schliefen wir miteinander. Wir schliefen so oft miteinander,
     dass mir manchmal alles wehtat.

3
    Eines Tages fragte ich sie, ob sie mich nicht heiraten wolle. Sie sah mich vollkommen erstaunt an.
    Wieso denn das? fragte sie. Das brauchen wir doch gar nicht!
    Ich sehe sie noch genau vor mir: Sie trug weiße, durchbrochene Handschuhe und einen azurblauen Mantel zu einer weißen Hose.
     Ihr Mund war knallrot angemalt und ihre grünen Augen leuchteten.
     
    Es war ein Fehler gewesen, sie zu fragen.
    Wenige Tage darauf bat sie mich, ob ich sie mit dem Auto zu einer Familie fahren könnte, die kleine Katzen verschenken wollte.
     Ich sagte ihr, dass ich Katzen nicht ausstehen könne, und fuhr mit ihr hin. Die Familie kam aus Polen; sie hatten zwei kleine
     Kinder und eine Katze mit vier Jungen. Eva suchte sich das magerste und kleinste aus, einen struppigen, schwarzen Kater, bedankte
     sich, und wir gingen. Wir mussten alles für das Tier einkaufen und in ihre Wohnung bringen. Sie redete ununterbrochen, ich
     schwieg verstockt.
     
    |45| Der Kater hieß Josef. Wegen Joseph Beuys, der im Januar gestorben war.
    Nachts kam er in unser Bett. Es war unser erster Streit. Ich wollte nicht mit Josef in einem Bett schlafen. Eva meinte, er
     bräuchte ihre Wärme. Sie bestand darauf. Ich drohte Eva, in der Küche zu schlafen, das heißt, ich bot es an, ich konnte ihr
     gar nicht drohen. Sie regte sich auf, wehrte es ab, aber ich bestand darauf.
    Verflucht noch mal, dann tu’s doch, sagte Eva schließlich, die Katze soll schlafen, wo sie es möchte.
    Der
Kater,
sagte ich.
    Der Kater, wiederholte Eva zornig.
     
    Ich nahm eine Wolldecke und legte mich in der Küche auf den Fußboden. Ich schmiegte mein Gesicht an das blaue Linoleum.
    Das Linoleum war glatt und kühl.
    Meine Knochen liebten das Linoleum.
     
    Nach einer endlos scheinenden Zeit kam sie in die Küche und sagte in die Dunkelheit: Geh weg.
    Geh bloß weg.
     
    Ich hielt mich für einen durch und durch rationalen Menschen. Die Menschen zu allen Zeiten zeigen die Neigung, die Vernunft
     überzustrapazieren, und verwandeln sie nicht selten in Terror. Wer aber machte sich selbst zum Opfer?
     
    Als Irene, meine letzte Freundin, mich verlassen hat, packte sie ihre Sachen zusammen und bat mich, ihr beim Runtertragen
     zu helfen und ihre Skier und Skischuhe aus dem Keller zu holen. Irene hat nie mit mir zusammengewohnt, sie hat immer darauf
     bestanden, ihre Wohnung zu behalten, aber mit der Zeit sammelt sich doch einiges Zeug an. Auch von Cornelia und Sophie gibt
     es hier noch ein paar Kartons. Ein richtiger |46| Mann hätte Irene vermutlich eins gehustet. Aber die praktischen Seiten von so einem wie mir nimmt jede gern mit. Als sie weg
     war, stand ich ratlos im Hof. Ich stand im Hof und sah langsam an der Fassade des Hauses hinauf zu meiner leeren Wohnung.
     
    Die Katze soll schlafen, wo sie es möchte.
    Irgendwann fragte ich mich, ob Eva, wenn sie vorgab, allein schlafen zu wollen, vielleicht einen anderen sah. Bei einem anderen
     schlief. Mit einem anderen.
     
    Im Frühling letzten Jahres hatte Irene angefangen, öfter in ihrer Wohnung zu übernachten. Ich brauche etwas Zeit für mich,
     hat sie gesagt. Es ist immer gefährlich, wenn eine Frau diesen Satz sagt. Im Klartext heißt das: Ich hab einen andern. Im
     Frühling hat sie es zum ersten Mal gesagt, im Sommer stand ich ratlos im Hof.
    Danach saß ich ein paar Wochen lang abends reglos in meiner Wohnung und lauschte auf die Geräusche der Nachbarn, bis ich mir
     sagte
, Komm, an die Arbeit!
Ich bin es nicht gewohnt, nichts zu tun. Ich tue immer etwas, auch wenn ich mich eher als kontemplativen Charakter beschreiben
     würde. Aber äußerlich verankert sozusagen, aktiv. Ich begann, Studien der Melancholie zu treiben. Ich las Panofskys Dürerinterpretation
     ›Saturn und Melancholie‹ und Petrarcas ›Gespräche über die Weltverachtung‹. Auch der Gesunde hat die schwarze Galle in sich,
     lernte ich. Von Zeit zu Zeit schwillt sie ihm an.
    An dem Abend, bevor Irene mich verließ, hatte ich ihr noch eine kuriose Passage über die Neigung zu Vexierspielen und Doppeldeutigkeiten
     in Übergangszeiten vorgelesen, die ich bei meinen Studien der niedergehenden Kulturen gefunden hatte. (Diese Studien hatte
     ich im Frühjahr begonnen, wen wundert’s?) Ja, am Donnerstagabend hatten wir noch nett zusammen gegessen, Spaghetti mit

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