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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Verlegenheit brachten, wenn ich vorbeiging. Ich kam nicht selten vorbei, es
     war nach dem Wedding schließlich Evas Gegend; oft schlenderten wir auch gemeinsam an den Damen vorbei, wenn wir ins »Hegel«
     gingen, das es heute nicht mehr gibt und in dem außer der sehenswerten dicken Chefin noch ein ebenso sehenswerter schmieriger
     Russe am verstimmten Piano in die Tasten schlug und sich seine russische Seele aus dem Leib sang. Die roch ganz schön nach
     billigem Rotwein, aber wir fanden ihn großartig, denn er sang, als schrieben wir das Jahr 1905 und die Revolution stünde vor
     der Tür und alles würde gut.
    Jedenfalls gibt es den Puff auch nicht mehr, er ist jetzt gewissermaßen
profaniert
, wie die vielen Kirchen, in denen heutzutage Kulturevents stattfinden. Die Kulisse ist vermutlich noch erhalten, und ich
     kann mir gut vorstellen, weshalb Irene sie ausgesucht hat, um die Ausstellung mit pornografischen Blättern zu zeigen, die
     ihr irgendein Sammler zugespielt hat.
    Irene hat eine Schwäche für pornografische Darstellungen; seit Jahren handelt sie damit im Internet; der Witz ist, dass ich,
     als ich ihre Vorliebe bemerkte, sie auch noch darauf gestoßen habe, obwohl mir das Genre mehr als fremd ist. Ich entdeckte
     auf dem Flohmarkt ein besonderes Heft, ein
Insider ding
, und schenkte es ihr zum Geburtstag.
    Wo hast du das her? schrie sie begeistert und küsste mich.
    Ich erzählte es ihr, und fortan verbrachten wir etliche Sonntage damit, Flohmärkte nach weiteren Exemplaren zu durchstöbern.
     Auch so ein Missverständnis. Sie vertickte die ersten im Netz und verdiente ganz hübsch Geld damit. Dagegen ist im Grunde
     ja nichts zu sagen.
    |73| Auch nicht dagegen, dass sie es im Bett gern distanziert hatte; nur dass mir da irgendetwas fehlte; es lief nach dem ersten
     Reiz auch nicht so. Es war ein bisschen, als hätten wir in der Küche im Stehen angefangen, und nun dachte sich jeder von uns
     eine andere Fortsetzung: Sie dachte, es würde so bleiben, und ich dachte, die Zärtlichkeit käme noch.
     
    So etwas wie damals mit Eva, als alles zusammenkam und für mich neu war und mich überschwemmte, das gab es sowieso nie mehr
     wieder.
     
    Vor lauter Erhitzung verpatzte ich damals zum ersten Mal zwei Klausuren und damit einen großen Schein. Ich sagte Eva, ich
     müsse mehr arbeiten, ich könne mich in ihrer Wohnung nicht genug konzentrieren. Eva war überrascht.
    Nanu, sagte sie, was ist das denn?
    Eva war ein Konzentrationsgenie; egal, wo sie war und was sie tat, sie war davon absorbiert. War sie nicht damit beschäftigt,
     eine bestimmte Aufgabe zu lösen, war sie von allem irritierbar, von Gerüchen, Geräuschen, dem Geplapper von Fremden, einem
     falschen Essen; sie gab dann keine Ruhe, bis die Situation verändert und ihr wieder wohler war. In Kneipen mussten wir manchmal
     den Tisch dreimal wechseln, wenn wir überhaupt im selben Lokal bleiben konnten. Sie war eine kapriziöse Prinzessin in diesen
     Dingen, was mich manchmal an die Grenzen der Geduld brachte. Na ja. Zugegeben. Ich fand es hinreißend, dass sie immer so genau
     wusste, was sie wollte. Ich staunte, wie sie es fertigbrachte, ihre Seminararbeiten pünktlich und offenbar mit guten Ergebnissen
     abzuliefern, was sie alles wusste, wie viel sie las, wie viele Bilder sie sah, wenn wir nicht zusammen waren, und wie viele
     Menschen sie kannte.
    Zwei, drei Nächte blieb ich zu Hause bei Opa, dann saß ich wieder bei ihr. Zu Opa ging ich, um zu duschen, die Kleider zu
     wechseln, nach ihm zu sehen.
    |74| Wenn mitteleuropäische Menschen Probleme haben, stellen sie sich stundenlang unter die Dusche. Und arbeiten bis zum Umfallen.
     Ich duschte ziemlich viel in dieser Zeit.

6
    Nora und Mirko kamen aus Jugoslawien zurück und hatten geheiratet. Ich war platt. Robert sollte aus der gemeinsamen Wohnung
     ausziehen und suchte nun nach einer neuen.
    Ich hatte seit einer Woche nichts mehr von ihm gehört, als er mich am Telefon erwischte und es mir erzählte. Er wirkte aufgewühlt
     und unglücklich. Ich traf ihn, allein, und wir tranken unzählige Gin Tonics, ein grässliches Gesöff, das wir
cool
fanden. Er erzählte von Nora. Ich hatte Nora bis dahin nur einmal flüchtig gesehen; er hielt mir ein Foto hin. Sie war sehr
     hübsch, klein und zierlich, mit schmalen, ausdrucksvollen Lippen, zwischen denen eine Zigarette klemmte.
    Ich dachte, du hasst Raucher, frotzelte ich.
    Robert nickte. Stimmt, sagte er.
    Sie hatte einen langen dunkelbraunen

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