Naechte am Rande der inneren Stadt
voraushatte. Er wollte das auch. Er wollte es in seinen Experimentierkasten
legen und sagen: Das kenne ich auch. Aber er merkte, dass er mich nicht wie früher zu einem lammfrommen, bewundernden
So isses
verleiten konnte.
Früher hatte ich immer nur mit der Vernunft und dem Recht, an das ich fest glaubte, argumentiert. Für die Gewaltlosigkeit.
Für die zivilisierenden Kräfte im Menschen. Für die Trennung von Staat und Religion. Ich war ein begeisterter Anhänger der
Menschenrechte. Ich wollte später für
Amnesty International
arbeiten. Die Philosophie hatte mich zwar zunächst verwirrt, dann aber bestärkt, und sie änderte nichts an meinen langfristigen
Plänen, an meiner Grundhaltung. Ich war ein Junge aus gutem Haus, nicht aus einem überspannten oder nur auf Wohlstand hin
orientierten Haus. Ich hatte Wertvorstellungen. Ich war nur etwas schüchtern. Und von Natur aus skeptisch. Und ich hatte Eva
früher nicht gekannt. Jetzt kannte ich Eva, und zum ersten Mal fühlte ich mich nicht mehr wie der ahnungslose Konrad, der
ich in Roberts Augen immer gewesen war. Obwohl Robert mich auch schätzte, aber wohl doch nur wegen meiner – ja, weswegen eigentlich?
Robert trank noch einen Gin Tonic. Ich wollte mich verabschieden, aber er hielt mich am Ärmel fest. Er sprach mit schwerer
Zunge.
Es sind doch nur meine eigenen Ängste, sagte er einschmeichelnd. Komm, bleib noch. Ich meine nur, was würdest du tun, wenn...
wenn... Nehmen wir einmal an, dass Milena einen anderen vögelt?
Ich hatte die Nase voll. Ich schlug mit der Hand auf den Tisch, Blut schoss mir in den Kopf. Sag mal, euch hamse wohl ins
Hirn geschissen! Ihr wisst ja überhaupt nicht, wovon die Rede ist! Ich sprang vom Tisch auf, warf Geld hin und floh.
Grüß Milena, schrie Robert mir hinterher.
|78| So endete unser Gespräch. Ich fuhr nach Hause, wo ich mich für den Rest der Nacht übergab. Ich wollte das alles nicht. Ich
wollte keine Experimente. Ich war krank vor Verlangen, und die Vorstellung, Eva könnte mich verlassen oder mit einem anderen
etwas anfangen, um sich oder ihre Liebe oder meine auszuprobieren, machte mich verrückt. Ich saß in meiner Souterrainbude,
die auch am Tag immer etwas schattig war, und wünschte, ich wäre Eva nie begegnet. Ich wünschte, ich säße hier wie noch vor
einem halben Jahr und studierte meine Anspruchsgrundlagen für das Zivilrecht, meinen Kant und Hegel und hätte Freude an der
Entwicklung der westlichen Demokratien. Alles war verzerrt. Alles schwankte. Ich hasste Robert. Er kam mir vor wie ein Pennäler,
der in den obskuren Vorstellungen der Pubertät hängen geblieben war, und ich weinte, weil ich ihm jahrelang geglaubt hatte.
Weil ich jahrelang der Überzeugung gewesen war, dass er das Leben besser begriff, dass er mehr wusste. Ich hatte so eine alte,
tiefsitzende Zuneigung zu ihm, und etwas in mir fragte immer noch, ob er nicht recht hätte, ob es nicht doch um diesen Kampf
ging, den Ausgleich der Kräfte,
the balance of power
.
Ich dachte an sein stummes, verständnisvolles Nicken, an seine Lebensphilosophie des Erduldens, des Schmerzes, des Hinabsteigens
in alle Orkusse. Nur: in welche stieg er denn hinab? Was erlebte er denn? Er blieb immer schön geschützt! Er schlief mit Nora
und konnte sicher sein, dass Mirko es ihm nicht übel nahm, sondern es irgendwie
cool
fand, seine Freundin mit ihm zu teilen. Trotzdem hatte Mirko die Notbremse gezogen, war mit Nora weggefahren und kam mit ihr
verheiratet zurück! Nicht schlecht, dachte ich, und ich beneidete ihn um seine Entschlossenheit. Und um Noras Ja natürlich.
Robert hatte einen deutlichen Knacks weg, seit die beiden zurückgekommen waren und ihn rausgeworfen hatten. Er hatte sicher
Liebeskummer wegen Nora und konnte es nur nicht so zeigen. Es war sein Stolz und seine Verletztheit! Das war es: Wir konnten
es nicht richtig zeigen!
|79| Ich hielt mich fest an diesem Gedanken; ich konnte und wollte meinen alten Freund nicht preisgeben.
Mitten in der Nacht, das heißt, es war schon fast Morgen, rief ich Eva an. Ich wäre lieber zu ihr gefahren, aber ich fühlte
mich ekelhaft und ausgelaugt wie eine glitschige Kröte im Kerker. Die anzufassen wollte ich ihr ersparen. Sie nahm schlaftrunken
ab.
Ich war unendlich erleichtert.
Dass sie da war. Dass ich ihre Stimme hörte.
Ich sagte ihr, dass mir das Wichtigste sei, mit ihr zu reden. Dass es mir gar nicht so sehr um das Körperliche ging.
Weitere Kostenlose Bücher