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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Tänzelndes, selbst wenn er saß. Vor lauter Einsicht verlor ich fast den Bezug.
    Woll, woll, meldete sich Silvie und schürzte die Lippen
, wer immer nur mit einer pennt, der stützt bloß das Establishment,
oder wie das früher immer hieß.
    Silvie zwinkerte uns zu. Sie trug ein schwarz-gelb gepunktetes Kleid, sie sah aus wie eine geheimnisvolle Frauenfigur aus
     einem alten Film.
    Das meine ich gerade nicht, sagte Leonhardt, abgesehen davon, dass du nicht korrekt zitierst. Das ist genauso unfrei, dieser
     Zwang, dass man mit allen schlafen muss. Das war vielleicht einmal revolutionär, aber das haben wir hinter uns. Das haben
     andere für uns erledigt.
    Aha, sagte Eva trocken. Ich wüsste nicht, wer diese Dinge für mich erledigen könnte.
    Frank, dessen Gesicht etwas von einem Nussknacker hatte, schlug sich lachend auf die Schenkel und brüllte: Ich auch nicht,
     nee, echt!
    Leonhardt ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Das Sprechen von zwei Körpern, sagte er, sollte ein Gespräch sein wie jedes
     andere. Es ergibt sich eben. Und es sollte sich frei entfalten können. Es gibt schließlich auch Gespräche ohne Konsequenzen.
    Und wie entstehen dann überhaupt intensive Bindungen? fragte ich.
    Sie entstehen durch das Gespräch!
    Alle lachten.
    Was gibt es denn da zu lachen? fragte Leonhardt ärgerlich.
    Det Bumsen bindet also doch, sagte Frank zufrieden. Ob zu zweit oder zu dritt!
    Wenn das die Gesprächsgrundlage ist, sagte Leonhardt und zog verächtlich die Augenbrauen hoch, dann wird es wohl so sein.
    Isch kann dat nisch unterscheiden, sagte Silvie freundlich. Ich weiß auch jar nich, ob isch dat alles so annalisieren will.
    |83| Silvie las gerade ›Der Grüne Heinrich‹ von Gottfried Keller, weil sie dann immer an ihren Heinrich denken konnte. Sagte sie.
     Sie litt jetzt immer mehr unter der Trennung von ihrem Liebsten und war eher still geworden. Eva legte oft den Arm um sie
     oder nahm ihre Hand.
    Was ist mit dem Kampf der Geschlechter? fragte ich.
    Der Todhass der Geschlechter, sagte Leonhardt und grinste. Weininger war ein verklemmter Trottel, der vor jeder Möse Angst
     hatte!
    Die anderen kicherten; ich fand diese ungenierte Art zu sprechen unangenehm.
    Wer isn Weininger? fragte Frank.
    Frank hatte überhaupt keine Probleme, seine Unkenntnis in den Raum zu stellen, das machte ihn mir sympathisch. Ich betrachtete
     ihn aufmerksamer als sonst und sah, dass er eigentlich ein hübsch geschnittenes Gesicht hatte, mit etwas nach unten gezogenen
     Lidern, die ihn immer etwas schläfrig wirken ließen.
    Weininger, dozierte Muskelmann Leonhardt, und nahm einen Löffel Joghurt mit Honig, war ein Wiener Philosoph der Jahrhundertwende,
     der sich in Beethovens Sterbezimmer das Leben genommen hat. Er war Antisemit und der Meinung, die Weiber wären dumme Gefäße
     und man halte sich am besten von ihnen fern.
    Warum soll man den denn lesen? fragte Frank.
    Aber Leonhardt war schon weiter.
    Der Kampf der Geschlechter, sagte er, reproduziert die Machtmechanismen des gesellschaftlichen Zusammenhangs. Ihre Brutalität
     des Ausschlusses –
    Och, machte Eva, können wir nicht mal über was anderes reden!
    Wir sind durchdrungen von den Werten, die uns gemacht haben, schloss Leonhardt, seinen Botticellimund schmollend verzogen.
     
    |84| Ich dachte über das nach, was er gesagt hatte. Im Grunde wollte ich meiner Unruhe, die Eva immer wieder in mir auslöste, irgendwie
     Herr werden, ich suchte verzweifelt nach einem intellektuellen Konzept. Der Verstand war immer mein Freund gewesen; warum
     sollte er es nicht auch hier sein? Ich dachte, dass ich ihr vertrauen müsste. Dass die Werte, die mich gemacht hatten, die
     Treue mit einschlossen. Dass ich ihr jedoch die Freiheit lassen müsste, ihre Vorstellungen zu leben.
    Eva schien vollkommen unbekümmert. Ihr Haar, das sie um meinetwillen abgeschnitten hatte, wuchs wieder nach und stand ihr
     wild gelockt um den Kopf; sie trug weiter meine Hosen, und wenn es sehr warm wurde, bunte Röcke und Kleider, die sie auf dem
     Flohmarkt kaufte. Sie erzählte mir so vieles, was sie beschäftigte, und doch hatte ich immer das Gefühl, nicht alles von ihr
     wissen, sie nicht in allem erreichen zu können. Da es im Ganzen mehr war, als ich jemals von einem Menschen erfahren und bekommen
     hatte, war ich trotzdem glücklich. Ja, selbst und vor allem die Aufregungen, die ich ihretwegen erlitt, machten mich glücklich.
     
    Ich begleitete sie weiter in die Ateliers und in Ausstellungen.

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