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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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völlig fremden Land?
    Ich muss irgendwie raus hier.
    Es ist schrecklich heiß; das Licht ist so grell, wenn man auf die Straße geht; mein Kopf dröhnt.
     
    Null, null, null, null –

    Ich habe den Überblick über die Zeit verloren.
    Es ist Juli, Hochsommer, alle sind draußen, alle sind federleicht, viele sind verreist. Ich bin stumm. Die alltäglichen Handlungen
     kommen mir leer vor. Der Kater will auch nicht fressen. Die Pille zu nehmen ist mir widerwärtig. Sinnlos. Muss aber den Zyklus
     beenden.
     
    Silvie kommt nicht wieder. Sie ist noch immer bei ihren Eltern und weint um ihren Großvater. Heute Morgen hat sie angerufen.
    Ich weiß nicht, ob es Sinn hat, nach Berlin zurückzukommen, hat sie gesagt.
    Ich flehe dich an, sagte ich, komm, ich brauche dich.
    Meine Tante kennt jemanden in Israel, hat sie gesagt, ich könnte als Volontärin dorthin. Ein Austauschprojekt. Ich bräuchte
     kein Geld.
    Und dein Studium? fragte ich.
    Ach, mein Studium, sagte sie. Wozu? Was soll denn aus mir werden? Ich kann es mir dort doch auch überlegen.
    |142| Das klingt so, als wäre schon alles entschieden, sagte ich. Ich spürte schon wieder diesen Schwindel.
    Ich bin noch nicht hundertprozentig sicher, sagte Silvie. Ich konnte richtig sehen, wie sie ihre süße Oberlippe leicht schürzte.
     Ich sah sie auf ihren Schuhen mit den Absätzen in ihren altmodischen Kleidern durch Hitze, Sand und zwischen Männern mit Gewehren
     herumschweben. Ich schüttelte den Kopf.
    Isch ruf disch an, sagte sie im schönsten rheinländischen Singsang, halt den Kopf oben. Und noch was: Eine kluge Frau reist
     keinem Mann nach.
    Mach’s gut, Sivvie, sagte ich. Mach’s gut, mach’s gut. Pass auf dich auf.
    Wer passt auf mich auf?
     
    0000000...

    Ich bin zum Sterben traurig.
    Ich brauche die anderen. Wir werden uns wiederfinden, egal, wem wir begegnen. Jeder Anfang, der sein Ende in sich trägt –
     das darf ich nicht denken. Ich darf nicht allein sein. Ich schlafe den Traum der Seelenmüden, komme nicht hoch, werde nicht
     wach, kriege die Augen nicht auf. Ich will im Schatten deiner Schulter liegen und schlafen und nicht mehr aufwachen ohne dich,
     Jackson. Du bist mein Licht und meine Farbe. Wieso hat er mich seinem Vater vorgestellt? Das macht doch nur Sinn, wenn etwas
     dauert.
    Seit Jackson fort ist, gerät mir alles ins Schwimmen.
    Ich habe ihm einen langen Brief geschrieben über den Hinterhof und den neuen Bewohner, der Mozart hört, über jene Stummheit.
     Er wird mir irgendwann eine Adresse sagen, an die ich meine Briefe schicken kann.
     
    |143| dieser sommer wird bis ans ende meiner tage gelb sein ein schmutziges, grelles gelb
    lass mich ich will nur schlafen
     
    mitte juli geht vorbei
    hockt sich schwer auf meine kissen
     
    Der Kater schläft in meinem Arm. Es klingelt, ich wache auf, in der Frühe, er sitzt direkt vor meinem Gesicht und sieht mich
     an. Es hat gar nicht geklingelt.
    Aber ich habe Jacksons Stimme im Ohr, als er ein letztes Mal angerufen hat, aus Goa. Die Verbindung war schlecht, es rauschte,
     ich hörte die fremden Stimmen, Ansagen auf einem fernen Flughafen oder Bahnhof. Er wollte eine Rundreise machen. Jackson sagte:
     Jetzt können wir unsere Gefühle auf ihre Tropentauglichkeit testen. Er lachte, aber es klang traurig. Mir fiel überhaupt nichts
     ein, also sagte ich nur seinen Namen.
    Pass auf auf dich, sagte ich. Und wieder seinen Namen.
    Tropentauglichkeit. Was für ein Wort.
     
    Das ist nun über zwei Wochen her. Die Hitze ist unerträglich. Probleme des Körpers mit dem Kopf lösen zu wollen, führt zu
     Migräne. Ich esse kaum, ich wechsle meine Hemden nicht, es ist mir alles egal. Ich würde am liebsten jede Nacht mit einem
     andern schlafen. Aber das darf ich nicht, es liegen hier schon so viele Herz- und Körperfetzen herum. Und vorher fragen kann
     ich wohl schlecht:
Weißt du, ich brauche nur ein bisschen Trost, aber mehr ist nicht drin.
Wer kann schon wissen, was sich entwickelt, in zwei, drei Nächten, wir haben es ja gesehen, wie das lief, mit Jackson und
     mir, ganz
easy
, und jetzt haben wir den Salat. Ich habe ein Gefühl, als würde der Boden unter mir schwanken. Ich habe Konrad gesagt, ich
     kann ihn nicht mehr sehen, Konrad, der mich füttern und waschen will und mir die dreckigen Sachen vom Leib ziehen, wenn ich
     es |144| zuließe; ich bin zu schwach für jeden Widerstand, aber jetzt will ich ihn nicht mehr sehen, er verdoppelt mein Leid, er hat
     dasselbe, wir hocken zusammen,

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