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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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riecht aber noch frisch. Es hängt über meinem Bett. Ich muss
     nur die Hand ausstrecken. Ich streichle dein Bild. Ich fahre mit den Fingerkuppen über die Erhöhungen des Auftrags der Ölfarbe.
     Ich fahre in die Schluchten von dünnem |147| Auftrag und nehme die Kurve zum fetten Auftrag, da, wo du den Pinsel weggelegt und nach dem Spachtel gegriffen hast. Ich grabe
     meine ganze Hand in diese Spachtelhügel. Ich lege meine Wange an die Farbe, die du aufgetragen hast. Mein Gesicht ist salzig
     nass. Ich bin von innen nackt. Wie konnte ich nur so offen sein?
     
    august, dummer august, fällst vom
    baum, stehst nimmer auf
     
    Vier Wochen. Nun nehmen die Dinge ihren Lauf. Benno kommt, Benno ruft an. Er ist mir nicht böse wegen neulich, als ich so
     kopflos weggerannt bin. Benno geht mit mir spazieren, er legt seinen Arm vorsichtig um meine Schulter, sieht mich verständnisvoll
     an. Er erzählt mir von seinen Studien, sein Schwerpunkt ist das Bauhaus in Dessau (insbesondere Fotografie) und die Neue Sachlichkeit,
     deren Nachwirkungen bis in die Nachkriegszeit er in seiner Magisterarbeit untersucht, und zwar in der DDR.   Er sagt, man müsse sich früh spezialisieren. Er möchte gern Professor werden. Ich lerne neuerdings immer so ehrgeizige junge
     Männer kennen.
     
    Fünf Wochen. Ich fühle mich nachts so krank, dass ich nicht allein sein möchte. Es wäre besser, einen anderen Körper zu fühlen.
     
    Ich vermisse Jackson so sehr, dass es mich umbringt. Ich fresse jeden Tag Aspirin, ich habe aufgehört zu zählen. Kamikaze.
     
    Ich vermisse Jackson und habe mit Benno geschlafen.
    Liebe ich schlecht? fragt er.
    O nein. Was mache ich nur?
     
    |148| Noch einmal Benno, er ist drahtig, und seine Haut ist feucht. Einmal lache ich sogar. Wir haben Samstagnachmittag ab fünf
     bis nachts um eins in seinem Bett verbracht; dann bin ich abgehauen. Ich dachte, es würde mich freier machen, ich folgte einem
     seltsamen
ordre du cœur
.
    Du bist genial in deiner Fähigkeit, dir einfach zu nehmen, hat er gesagt.
    Naja.
     
    Ich hätte doch Leonhardt nehmen sollen. Nein. Ich sollte auch lieber etwas Ehrgeiz entwickeln statt mit Männern zu schlafen.
     Ich würde mich gern einmal ausruhen von diesem Spiel, von dem ich offensichtlich nichts verstehe. Von der Wissenschaft verstehe
     ich auch nichts. Professor Weidenmüller hat mir auf den Kopf zugesagt, ich sei dafür nur
bedingt geeignet
. Was ich über Beuys’
Nike
geschrieben hätte (seine kopflose Friedensfigur »Torso«, 1949   /   1951), wäre ein hübscher Essay. Aber Wissenschaft sei etwas anderes. Er hat mir trotzdem eine Eins gegeben!!?? Ich sage ja,
     ich verstehe nichts mehr.
    Benno sagt, ich solle mich mehr konzentrieren. Benno möchte mich sehen. Er fährt bald weg, nach Italien, ob ich nicht mitkommen
     möchte. Es würde mir guttun, sagt er. Seine Stimme knarrt dabei etwas drängend; ich kriege eine Gänsehaut.
    Alle geben mir Ratschläge. Ich habe jeden Tag Kopfschmerzen und quäle mich. Es war eine dumme Idee, mich auf Benno einzulassen.
     
    DIE Maler des Lichts (von Corot über die Impressionisten und Manet bis zu van Gogh) transformieren den Illusionismus, in der
     zweidimensionalen Fläche einen dreidimensionalen Raum oder Körper zu schaffen. Sie denken die Fläche neu. Sie setzen das Licht
     = die Farbe à la prima auf die Leinwand, unmittelbar, direkt aus der Tube, mit dem Spachtel: Sie setzen Licht (=Farbe), ohne
     die Illusion von Licht zu schaffen.
     
    |149| Sechs Wochen. Ich konnte nicht allein sein, ich krepiere, wenn ich allein bin, Josef hilft auch nicht, er maunzt nur und will
     spielen, ich gehe die Wände hoch, dann fiel mir Heumann ein, ich rief ihn an, wir sind zu Theo ins Atelier, und ich bin vollkommen
     abgestürzt. Ich bin bei Theo auf dem Boden aufgewacht, zugedeckt von irgendeinem Hemd, ohne Erinnerung an die Nacht. Heumann
     war nicht mehr da, Theo schlief wie ein Stein, ich bin nach Hause und musste drei Aspirin schlucken.
     
    Dann habe ich die Malsachen ausgepackt und angefangen, etwas direkt auf die Leinwand zu knallen. Violett. Zitronengelb. Orange.
     Schwarz.
    Ich will nur eines: Jacksons Sprache kennen.
     
    Berlin, Ende August
     
    Jackson. Ich stehe vor deinem Bild und streichle die Farbe mit geschlossenen Augen. Ihren Verlauf. Alles ist entsetzlich provisorisch
     in meinem Leben. Ich bin niemandes. Die meine Leidenschaft sind, stehen nicht zu mir, und ich verletze die, deren Leidenschaft
     ich bin. Ich bin keine

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