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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Heilige. Ich sehe nur Blessuren. Ich brauche Freunde und habe keine. Ich träume mit offenen Augen und
     werde immer dunkler um die Augen. Ich muss weinen, ununterbrochen. Ich halte es nicht aus, diese Hingabe ohne Antwort. Du
     läufst in einem fremden Land herum. Ich weiß noch nicht einmal, wo. Du hast noch immer keine Adresse geschickt. Du kommst
     wieder, vielleicht, in ein, zwei Jahren, vielleicht auch nicht. Ich will nicht warten. Ich kann nicht. Am Ende kommst du,
     aber nicht allein. Du bist ja auch jetzt gegangen.
    Silvie hat gesagt, den schaffen wir ab, wenn er nimmer wiederkommt.
    Ich bin die traurige Ulme, die den Efeu will, der sie aussaugt. Ich habe mir das Haar abrasiert, ein stacheliger Flaum |150| wächst. Ich sehe aus wie eine nasse Ratte. Ich trage stolz meinen Kopf. Ich kann nicht allein sein, ich halte das nicht aus.
     Doch mein Verlangen trägt nur deinen Namen.
    Ich las einen schönen Satz bei Rilke, er schrieb ihn in Paris im Oktober 1907 :   ...
man ist ja noch immer so weit vom Immer-arbeiten-können. Van Gogh konnte die Fassung verlieren, aber die Arbeit war noch hinter
     der Fassung, aus ihr konnte er nicht mehr herausfallen (...) Mir ahnt aber, dass das nicht bloß Erziehung ist und Zwang, so
     zur Arbeit zu sein (es würde sonst ermüden...), es ist lauter Freude; es ist das natürliche Wohlsein in diesem Einen, an das
     nichts anderes heranreicht. Vielleicht muss man deutlicher noch die Aufgabe einsehen, die man hat, greifbarer noch, in Hunderten
     von Einzelheiten erkennbar. Ich fühle ja wohl, was van Gogh an einer gewissen Stelle gefühlt haben muss, und fühle stark und
     groß: dass alles noch zu machen ist
.
    Du, Jackson, hast diese Arbeit. Du hast dieses Eine, an das nichts anderes heranreicht. Ich habe so etwas nicht. Ich sacke
     jeden Moment irgendwo hinein. Ich beneide dich und ich kenne deinen Weg. Sorg dich nicht um mich. Morgen trage ich Frohsinn
     aus wie ein Postbote, und manchmal wird er echt sein, ich weiß das.
    Ade, du Herzensfresser. Du bist mein Schönes.

2 (Transitorisch)
    Der haarige Maler im weißen T-Shirt verschwand aus Evas Leben so plötzlich, wie er hineingekommen war. Er hinterließ ein riesiges, scheußliches Bild und eine
     Eva, die sich nicht wusch, die nicht aß, die sich von einer Migräne zur anderen hangelte.
     
    |151| Die Wochen in diesem Sommer hatten sich gedehnt, bis Eva unerwartet anrief.
    Ich bin aus den Latschen gekippt, hörte ich sie keuchen, kannst du mich holen? Bahnhof Zoo.
    Ich raste im DAF hin, wollte den Wagen vor der Heinrich-Heine-Buchhandlung abstellen, doch ein Bus hinter mir hupte, ich musste
     weiter, um die Ecke, in die Jebenstraße, an der Post vorbei, dann war es mir egal, ich parkte die Karre am Hinterausgang und
     rannte in die Halle. Ein ekliger Geruch schlug mir entgegen, nach Bier und Pommes-Fett, altem Schweiß, etwas Süßlichem und
     den Toiletten. Ich riss die Tür des Damenklos auf und schmiss sie wieder zu, ich drängelte mich an verdreckten Typen vorbei,
     den üblichen Daueranwohnern, jungen Strichern, alten Freiern, bleichen Fixern mit blauen Augenhöhlen, ich schubste Reisende,
     die durch das versiffte, syphige Ankunfts- und Aushängeschild unserer Stadt huschten oder ratlos mitten im schmuddeligen Ocker
     herumstanden. Kopflos suchte ich, ich wusste ja gar nicht, wo Eva war.
    Sie hockte mitten in der Halle unter der großen Uhr auf dem schmutzigen Boden. Mit ihrer Rattenfastglatze sah sie aus wie
     ein Junkie. Mir rutschte das Herz in die Kniekehlen. Sie trug helle Sachen, die so schmutzig waren, als säße sie schon die
     ganze Woche dort. Ich bückte mich, griff ungelenk nach ihr wie nach einer Katze im Wasser.
    Du bist ja schneeweiß, sagte ich, sollen wir nicht besser ins Krankenhaus?
    Bloß nicht, sagte sie.
    Ich half ihr hoch, griff nach ihrer Tasche.
    Ich hab Durst. Kauf mir ’ne Cola. Hier ist ein Licht wie aus Scheiße und Gold, fing sie an, doch ihre Knie knickten ein, ich
     musste ihr unter die Arme greifen. Hast du was genommen, fragte ich, nee, sie schüttelte schwach den Kopf. Sie wirkte völlig
     desorientiert und spuckte nur noch einzelne Wörter aus, rasende Kopfschmerzen, Staatsbibliothek, auf dem Weg. |152| Sie übergab sich immer wieder, im Auto, und stammelte, in ihrem Kopf gäbe es lauter Explosionen.
     
    Die ganze Zeit hatte ich gespürt, dass sie Hilfe brauchte. Sie hatte unser sexuelles Verhältnis ordentlich abgeschlossen;
     nicht aber unsere Beziehung, unsere Liebe. Ich wusste

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