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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Studenten besucht wurde und das sie immer gemocht hatte. Ich dachte, es wäre gut, wenn sie unter Leute käme. Robert begleitete
     uns. Auch er sah blass aus, übernächtigt.
    Ich kann mit euch beiden bald ein Lazarett aufmachen, sagte ich zu ihm.
    Wie kommst du denn darauf? gab er unwirsch zurück. Eva gegenüber trug er Samtpfötchen. Er brachte ihr Kuchen mit und zu meiner
     Überraschung Blumen.
    Wir saßen mit ihr im hellen, lauten Lokal und erlebten eine Eva, die kein Wort sagte. Sie trank mechanisch ein Glas nach dem
     anderen; sie hätte literweise Wein getrunken, hätten wir ihr nicht Wasser hingeschoben. Wir mussten ihr die Pizza in Stücke
     schneiden. Nun iss doch mal ein bisschen, sagte ich und wickelte ihr versuchsweise Nudeln auf die Gabel. Sie saß da und war
     traurig. Als wir sie nach Hause brachten, sagte sie Danke. Sie wollte nicht, dass wir mit hochgingen.
    Es geht schon, sagte sie, tschüß.
    Bis morgen, sagten wir.
    Ich verbrachte einige Nächte in ihrem Treppenhaus. Der mehlbestäubte Hardrocker war zum Glück verreist. Robert schickte ich
     fort. Wir können uns abwechseln, sagte er. Ist schon in Ordnung, sagte ich, ich krieg sowieso kein Auge zu. Ich schlug mich
     gerade mit den Vorbereitungen für die Examensprüfungen |160| herum, die im Herbst anstanden, paukte Zivil- und Strafrecht, übte zu systematisieren und zu subsumieren.
Quae sit actio?
und
nulla poena sine lege
ratterten durch meinen Kopf, wenn ich nachts auf Evas Treppe hockte und die Risse im Putz zählte,
keine Strafe ohne Gesetz
, doch welches Gesetz, fragte ich mich, war denn hier am Walten? Die Gewalt der Natur? Ich zweifelte an allem und hielt mich
     an meinen Zweifeln fest, wie andere sich an ihrem Sportprogramm. Es war absurd, aber es half. Robert seinerseits schrieb umständliche
     Gedichte mit langen Zeilen über das Mitleid als Grundlage für eine Theorie des Miteinanders. Er zeigte sie mir, und ich las
     sie und nickte.
     
    Ist gut, sagte Eva eines Abends, als wir uns vor ihrer Tür verabschiedeten.
    Eva hatte schon immer eine wunderbare Art gehabt,
ist gut
zu sagen. Es war ihr Allerweltswort, es bedeutete sehr viel Verschiedenes auf einmal. Als sie zum ersten Mal wieder
ist gut
sagte, wusste ich, dass ich gehen konnte.
    Es waren schwüle Nächte; es war ein außerordentlich langer, heißer Sommer, in dem die Fische in den Flüssen starben, am Dreck
     und am Gift. Der Mond dieses Sommers hängt in meiner Erinnerung wie ein riesiger gelber, oranger oder rosa gefleckter Ballon
     ungewöhnlich niedrig zwischen den Häusern. Wahrscheinlich sind alle unglücklich Liebenden irgendwie mondfixiert. Robert und
     ich liefen, wenn wir Eva verließen, manchmal die ganze Strecke schweigend, zu Fuß vom Wedding bis zum Bahnhof Zoo. Dort trennten
     wir uns.
     
    Im September wurde in Roberts Hinterhaus eine Wohnung frei. Seine lag im ersten Hof, die andere im Gartenhaus des zweiten.
     Obwohl ich ahnte, worauf das hinauslaufen würde, überredete ich Eva umzuziehen.
    Etwas Veränderung tut dir gut, sagte ich.
    Aber ihr dürft mir keine Vorschriften machen, sagte sie.
    |161| Wir versprachen alles. Ich kaufte Gemüse, Käse und Salat und kochte für uns drei. Ich hatte es mit zwei Vegetariern zu tun:
     er aus Überzeugung, sie aus Angst vor Radioaktivität.
    Natürlich war die Hausverwaltung von Eva entzückt, wer war es nicht, und Eva, meine Liebste, zog in das Haus gleich neben
     Robert, meinen besten Freund.
    Ich strich die Dielen ihres Zimmers weiß, ich strich die Dielen ihres Flurs grau, und in der Küche verlegten Robert und ich
     zusammen einen grau-schwarz gesprenkelten Linoleumboden. Ich schlief noch einmal bei ihr, wir kamen uns nah,
aber nur, wenn es ganz frei bleibt
, ich räumte ihre Bücher und Schallplatten in ein neues, richtiges Bücherregal, und ich glaubte an die Tage, an denen ich
     noch mit ihr glücklich sein würde.

3 (Unübersichtlichkeit)
    Berlin, Ende September
    Liebster,
    bald drei Monate bist du nun fort. Fast ein Vierteljahr. Ich habe von dir geträumt, du warst zornig, weil ich dich betrog,
     dabei war ich die Betrogene, und du hast auch V. betrogen, mit mir. Ich betrüge dich nie, eher die andern. Ich sage allen
     die Wahrheit. Aber ich muss mich ja irgendwie retten.
    Im Traum bist du fortgerannt.
    Mein Verstand sagt, er ist fort, er kommt nicht wieder, mein Herz fühlt sich elend, und obwohl ich gern mit anderen zusammen
     bin, zeigen sich täglich neue Entfernungen. Manchmal ist die Stadt so groß,

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