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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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nicht, wie ich dies alles einschätzen sollte. Sie hatte mich weggeschickt,
     als ich bei ihr hereingeplatzt war, irgendwann im Juli, und das grässliche Bild von ihrem haarigen Maler über dem Bett entdeckt
     hatte.
    Ich brauche Zeit für mich, hatte sie gesagt, bitte hab etwas Geduld mit mir.
    Ich bin für dich da, hatte ich geantwortet.
     
    Ich hatte gewartet und sie von Weitem beobachtet. Ich kannte ja ihre Wege und Zeiten. Nervös rauchend verbarg ich mich im
     Eingang der Bibliothek hinter einer der Säulen oder beobachtete sie aus der hinteren Ecke der Mensa. Ich sah sie auf dem Unigelände,
     sie federte nicht wie sonst. Sie trug immer dieselben Sachen, grünes T-Shirt , helle Hose. Sie roch ganz sicher nicht nach Seife. Ich lauerte ihr im Wedding auf, in der Nähe ihrer Wohnung, an der U-Bahn Amrumer Straße, oder bei den Geschäften in der Müllerstraße, in denen sie einkaufte. Ich blieb vor Schaufenstern stehen,
     an denen ich sonst nur vorbeigerannt war: billige Schuhe, schreifarbene Accessoires, kitschige Blumengewinde. Ich sah Eva,
     allein. Langsam. Mit abwesendem Blick. Einmal blieb sie mehrere Stunden in meinem Lieblingsantiquariat, bei dem Mann, der
     stinkende Stumpen rauchte.
    Der Maler war fort. Wie vom Erdboden verschluckt.
     
    Ich überlegte, ob sie vielleicht bei jemand anderem Zuflucht suchte. Aber wer wäre infrage gekommen?
    Silvie war nach Köln gefahren, um ihren Großvater zu beerdigen, und dann überraschend nach Israel abgehauen. Evas |153| Vater war ständig auf Geschäftsreisen, und Eva hätte niemals zugegeben, ihn zu brauchen. Robert hatte schnell Wind von unserer
     vorläufigen Trennung bekommen und Eva einige Male angerufen, behauptete aber, sie hätte ihn abgewimmelt.
    Ich dachte, dass sie sich vielleicht mit Nora angefreundet hätte, und versuchte, dort etwas rauszufinden. Nora sah mich nur
     schnippisch an, legte die Finger auf ihre Lippen und zuckte die Achseln.
     
    Schlecht leben die Geliebten und in Gefahr. Ach, dass sie sich überstünden und Liebende würden.
So heißt es bei Rilke, und so ließe sich wohl meine Idee von mir selbst damals gut beschreiben. Meine Maxime, wie Kant sagen
     würde. In Liebesdingen greift man doch eher auf die Dichter zurück, vor allem, wenn man sie in der Wohnung der Liebsten findet.
     Und doch, im Sinne des kategorischen Imperativs: Tun wir nicht das, was wir uns von den anderen wünschen?
     
    Eva sah in diesen Wochen verlottert und durchsichtig aus. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie körperlichen Trost
     brauchte. Von mir würde sie ihn nicht annehmen, das war klar. Durch Zufall lief ich Leonhardt über den Weg, ihrem Sportcenterphilosophen;
     er nickte zwar, als ich ihn grüßte, schlug dann aber einen Haken und sah zu, dass er wegkam. Ich bekam eine enge Kehle, sofort
     hatte ich ihn in Verdacht.
    Das Semester endete; alle kamen nur noch unregelmäßig aufs Unigelände, um in die Bibliothek zu gehen.
    Die Lage wurde unübersichtlich.
     
    Ich litt. Ich wollte mich verstecken wie ein krankes Tier, nicht mehr ans Tageslicht gehen, doch Robert rief an. Robert war
     für mich da, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Er überredete mich, mit ihm Billard zu spielen oder einen Film zu sehen.
     Ich konnte mich weder auf das eine noch das andere konzentrieren. Macht nichts, sagte er. Wir liefen kreuz und |154| quer durch die Stadt. Wir hatten das immer gern zusammen gemacht; wir fuhren mit dem Bus; hier vielleicht? fragte einer von
     uns, warum nicht? sagte der andere, und wir stiegen aus und liefen los. In irgendeine Richtung.
     
    Eines Abends, noch bevor Eva zusammenklappte und ich sie auflas, waren wir von Schöneberg aus an der Urania vorbei bis zum
     Tiergarten gewandert; auf dem Weg aßen wir in einem neu eröffneten asiatischen Restaurant, das Robert nicht nur wegen der
     extravaganten Inneneinrichtung grandios fand. Alles war zeremoniös und gewichtig, mitten im grün schimmernden Raum plätscherte
     ein Wasserfall. Ich hatte überhaupt keinen Appetit; nur ein schlechtes Gewissen, dass er für mich so viel Geld ausgab. Er
     hatte darauf bestanden, mich einzuladen. Er war vollkommen ernst und hielt mir einen Vortrag über Spiritualität; wie man den
     kleinen Dingen des Alltags eine geistige Dimension abgewinnen konnte. Über das Mitleiden als Grundlage menschlichen Verhaltens
     und den Gleichmut als zu erstrebende Haltung gegenüber dem Leben. Er sah mich sanft an, und ich dachte daran, wie verquält
     er manchmal

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