Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
Vom Netzwerk:
gewesen war, in unserer Schulzeit, und dass er oft, wenn er sich mit einem anderen stritt, die Fäuste geballt
     hatte, bis die Knochen weiß unter der gespannten Haut hervortraten. Dieselben Hände, die feingliedrig und hell waren, hoben
     jetzt mit zwei Stäbchen essbare Blütenblätter vom Teller, behutsam und geschickt. Etwas war sonderbar an diesem Bild. Wieso
     erzählte er mir all das, nachdem er mir vor nicht allzu langer Zeit vorgeworfen hatte, dass ich mich von Eva ausnutzen ließ?
    Du musst den Kontakt zu ihr aufrechterhalten, sagte er zu meiner Überraschung und schob nachdenklich Reis und scharfes Gemüse
     in den Mund. Er malmte das Essen, die Haut über der Kinnpartie bis zu den Wangenknochen spannte. Er starrte durch mich hindurch.
    Es ist wichtig. Man darf die Dinge nicht abreißen lassen. Du wirst sehen.
    |155| Ich konnte nicht weiteressen. Ein fieser fauliger Geschmack überdeckte den der Zitronengrassuppe. Ich fing an zu zittern.
    Entschuldige, sagte ich.
    Du bist ganz grün im Gesicht, sagte Robert, magst du das Essen nicht? Er rief den Kellner und bestellte einen Schnaps.
    Ich sah ein Gerippe an den Tisch kommen, das Gerippe beugte sich vornüber, ich erkannte, dass es eine weiße Stehkragenjacke
     war.
    Ich sehnte mich entsetzlich nach Eva. In mir brannte die Gegend zwischen Magen und Herz; wehmütig dachte ich daran, wie es
     mit ihr gewesen war, wenn wir essen gingen. Sie hatte nach zwei Minuten fettige Finger. Sie aß mit großem Appetit und kleckerte
     jede Tischdecke voll, und sie brachte jeden Kellner zum Lachen. Schmerz und Scheiße, dachte ich und kippte den vietnamesischen
     Schnaps runter.
    Nach dem Essen wanderten Robert und ich an den buntgestrichenen Häusern der Internationalen Bauausstellung entlang in den
     dunklen Tiergarten, an der ehemaligen japanischen Botschaft vorbei, die seit dem Ende des Kriegs leer stand. Als schwarzer
     Block ragte der faschistische Bau in die Nacht, unter dem riesigen leuchtenden Mercedesstern, der sich im Hintergrund auf
     einem Hochhaus über der Stadt dreht. Die Mondsichel war fast weiß und hing schief zwischen den Ästen, das Wasser schien unter
     einer Brücke zu stehen, es roch modrig von der tropisch wirkenden Schwüle, die Baumreihe spiegelte sich schwarz darin. Ich
     fühlte mich selber modrig, und seltsam verschwommen.
    Robert redete leise und eindringlich vom Paradies. Seine Züge wirkten feiner als sonst, er sah schön aus. Das Gesicht des
     Vierzigjährigen schien in dem des Vierundzwanzigjährigen auf. Er würde immer markanter aussehen, je älter er würde. Plötzlich
     fiel mir auf, dass ich ihn mit Evas Augen ansah. So wie ich es mir jedenfalls vorstellte, dass sie ihn ansehen würde.
     
    |156| Wir trafen uns, und manchmal schien es, als wäre nie etwas gewesen. Dabei war ich ein anderer geworden, und Robert quittierte
     es mit einem Mehr an Respekt und einer leicht inquisitorischen Neugier. Ich konnte mit niemandem sonst über Eva sprechen;
     Opa hatte ich gesagt, dass sie verreist wäre, zu ihrer Schwester. Opa glaubte mir kein Wort. Aber es war Ehrensache, dass
     er nichts dazu bemerkte.
     
    Einmal lungerte ich spät in der Nacht vor ihrem Hauseingang herum, bis mich ein Mieter mit hineinnahm; ohne Durchsteckschlüssel
     kam man ja abends nach acht nicht mehr rein.
    Die Hitze des Tages hing noch immer zwischen den Mauern. Es roch nach Trockenheit. Ich stand in Evas Hinterhof und blickte
     hinauf zu ihrem Fenster im dritten Stock und hörte Mozart, aber die Musik kam nicht aus ihrer Wohnung. Bei ihr sah ich Licht.
     Vielleicht lag sie auf ihrem Bett oder saß am Schreibtisch. Es war, als fühlte ich sie durch die warmen Mauern, durch die
     Stockwerke hinweg. Ihren Atem, ihre Haut. Es war, als hörte ich ihre sanfte Stimme ganz nah an meinem Ohr.
    Ich begriff, was los war. Sie versuchte weiterzuleben wie bisher. Ging es ihr nicht wie mir, nachdem sie aufgehört hatte,
     mit mir zu schlafen? War sie nicht in derselben Lage wie ich? Und hatte sie nicht aufgehört mit mir zu schlafen, weil sie
     begriffen hatte, dass es für sie und mich nicht gut war? Hatte ich nicht sogar Schuld daran, dass sie sich diesem Maler in
     die Arme geworfen hatte?
     
    Ich liebte sie so sehr, dass mir alles wehtat, als ich sie schließlich am Bahnhof Zoo auflas. Wochenlang hatte ich dieses
     Bild vor Augen: Wie sie leichenblass auf dem dreckigen Boden hockte, unter der Uhr,
weil man sich doch dort immer verabredet
,
ich dachte, da kommst du dann hin
,

Weitere Kostenlose Bücher