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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Nee, hab ich gesagt, am siebzehnten Juni, in Steglitz,
     an der Spree, überall, aber da nicht. Er hat noch einmal gefragt, ob ich ihm denn nicht die Geschichte von dem Maler erzählen
     könnte. Ich überlegte einen Augenblick. Würdest du wollen, fragte ich schließlich, dass ich
unsere
Geschichte jemandem erzähle?–
    Ich will keinen verraten, es würde Konrad doch nur verletzen. Das muss ja wirklich nicht sein.
    |167| Ich habe dem obdachlosen Maler in Australien geschrieben, dass ich nicht mehr auf ihn warte, aber ich könnte es ebenso gut
     der Mauer rechts von unserem Haus schreiben. Denn ich habe ja keine Adresse.
    Prompt träume ich auch von ihm, dass er sich in eine Frau verwandelt, in schrägen Kleidern herumläuft und mir sagt, mit wem
     er nun zusammen ist. Ich bin wohl ganz durcheinander im Geschlechtlichen.
    Ich habe sein Bild jetzt mit dem Gesicht zur Wand hingestellt. Zum Abgewöhnen. Es in den Keller zu packen, bringe ich noch
     nicht über mich. Es ist immerhin ein Kunstwerk.
     
    Ich will nichts mehr mit Männern anfangen. Ich will nur meine Arbeit machen. Ich lese viel und denke an nichts.
     
    Benno ruft an und fragt, ob ich mit ihm nach Tunesien fliege.
    Was willst du denn in Tunesien?
    Auf den Spuren von Nolde und Macke, sagt er.
    Natürlich, sage ich, zum Kiffen wohl kaum.
    Sein Ehrgeiz macht mich fertig. Diese Systematik.
     
    Es steht fest, Silvie kommt nicht wieder. Sie ist in Israel und bleibt erst einmal dort. Sie hat mir geschrieben, von der
     Hitze und der Wüstenlandschaft, die sie zu ihrer eigenen Überraschung schön findet.
Ich darf nur nicht in die Sonne, wegen meiner hellen Haut. Im Kibbuz gibt es aber auch viele Büsche und Bäume, vor allem Orangen-
     und Zitronenbäume, die duften. Es leben dort viele alte Leute, die aus Deutschland emigriert sind.
Sie hatte zuerst Angst, man würde sie ablehnen, aber die Leute nehmen sie auf und freuen sich sogar, mit ihr Deutsch zu sprechen,
     in ihren Heimatdialekten. Sie arbeitet im Kindergarten und isst mit allen in einer riesigen, hellen Kantine, niemand muss
     privat kochen, und
es gibt kein Geld: Das ist das Beste, was mir passieren konnte,
schreibt Silvie.
    |168| Sie hat mich gebeten, ein paar Sachen aus der Wohnung von Heinrich zu holen, in der jetzt irgendein Typ wohnt, den sie nicht
     kennt. Ich soll sie in meinen Keller stellen. Ich vermisse Silvie. Ihre Schnodderschnauze, ihr gewelltes Mündchen, ihren trockenen
     Humor, den Glamour, wenn sie auf ihren hohen Hacken durch die Räume schwebt. Ich möchte unbedingt Nora näher kennenlernen,
     Robert hat mir so viel von ihr erzählt, dass ich das Gefühl habe, sie ist mir schon vertraut. Ich brauche eine Freundin, unbedingt.
     Anka meldet sich nicht mehr, weiß der Henker, wo sie wieder steckt. Ich war überrascht zu hören, dass Nora ein paar Jahre
     älter ist als ich, denn Mirko, mit dem sie verheiratet ist, ist jünger als Robert. Na ja. Darauf kommt es im Grunde gar nicht
     an. Ich habe sie auf dem Fahrrad gesehen und ihr von Weitem gewunken. Sie sah hübsch aus, in Jeans und einem geringelten T-Shirt , ihr langer dunkler Flechtezopf baumelte auf ihrem Rücken und hopste hin und her wie ein lebendiges Tier.
     
    9.   November 1986, Sonntag
     
    Auf den letzten Drücker bin ich nach Ostberlin zur großen Expressionistenausstellung, sie geht nur noch bis zum 16. d. Ms.
     Ich hatte Benno gefragt, ob er mitkommen will, aber er sagte: Nein, dann rennste mir wieder weg. Auch recht. Dieses Mal bin
     ich nicht rausgerannt; ich habe die Bilder ausgehalten; nur bei Muellers
Liebenden in der Kaschemme
bekam ich eine Gänsehaut, weil ich an einen Morgen auf einem blauen Sofa im grünen Schatten der Kastanie denken musste. Es
     gab einen unglaublichen Andrang; ich war neugierig, wie die Ostberliner über die Bilder sprechen würden, und stellte die Lauscher
     auf. Es ist das erste Mal, dass es eine solche Übersicht über die expressionistische Avantgarde (1905   –   1920) hier im Osten zu sehen gibt, Bilder von Nolde, Heckel, Kandinsky bis hin zu Dix und Grosz. Seit Tagen gibt es Diskussionen
     in den Zeitungen über eine gegenseitige |169| Rückführung von Kulturgütern, die im Krieg
verlagert
wurden, wie es so hübsch euphemistisch heißt. Unser Bundeskanzler hat vor zwei Wochen Gorbatschow beleidigt, und sofort macht
     sich an der Grenze eine gewisse Nervosität breit. Es gab in diesem Jahr so viele Ausreiseanträge wie noch nie. Die Schlange
     an der Nationalgalerie war irre lang;

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