Naechte am Rande der inneren Stadt
öffnen kann, die ich zu spät finde, die verloren gehen.
Heumann hat mir heute einen Vortrag über den Tod gehalten. Ganz unvermittelt fing er davon an, als wir durch die Neue Nationalgalerie
wanderten. Es gab einen sonderbaren Moment der stillen Übereinkunft, als wir vor einer Skulptur von Barlach standen. Ich musste
an die Frau aus Dresden denken, ich hätte Lust sie wiederzusehen, aber wir sind nicht einmal auf die Idee gekommen, die Adressen
auszutauschen.
Und mit einem Schlag überfiel mich die Erinnerung an die Nächte mit Jackson, so heftig, als müsste ich nur zu ihm gehen, und
als wäre kein einziger Tag vergangen! Ich jaulte innerlich auf. Ich schnappte nach Luft und rannte aufs Klo und drückte mich
an die kalte Trennwand und weinte.
DIE LIEBE HAT KEINE GESCHICHTE, SIE IST.
|172| Es gibt auch keinen Verrat, denn ich liebe keinen anderen.
Nach dreimal Naseschnauben machte mich diese Erkenntnis unsinnigerweise froh. Ich sage allen die Wahrheit, ich mache keinem
etwas vor.
Du nimmst alles, was du liest oder siehst, viel zu persönlich, sagt Benno.
Aber sonst hat es doch keinen Sinn, sage ich.
Es gibt Erkenntnisse, sagt Benno, die dich nicht betreffen.
So? mache ich und fange an zu lachen.
Ich hatte meinen Teil der Kippenberger-Arbeit fast fertig getippt. Plötzlich habe ich alle Vorüberlegungen und die Bedenken
wegen der Vollständigkeit und der Fußnoten und des wissenschaftlichen Apparats über den Haufen geworfen und bin meiner inneren
Linie gefolgt, und ich habe an meinem eigenen roten Faden entlang über seine Materialien geschrieben, und wie er Schrift in
die Bilder mit einbezieht.
Und jetzt ist Benno
eifersüchtig
, weil ich mit Leonhardt das Referat vorbereite!!!! Also wirklich!
Er wollte unbedingt mit mir ins Bett, aber ich wollte nicht. Er war beleidigt, und dann hat er mich beleidigt, indem er sagte:
Du willst doch immer.
Ich
will
jetzt vor allem gehen, sagte ich wütend, aber er griff nach meinem Arm und hielt mich fest.
Ich weiß nicht, ob ich dich liebe oder nicht, sagte er mit hochrotem Kopf. Das ist alles, was dahintersteckt.
Ich zog die Augenbrauen verwundert hoch. Da kann ich dir nicht helfen, sagte ich. Lass mich bitte los.
Stattdessen packte er mich an den Schultern und schüttelte mich, ich war ganz verdutzt.
Ich kann mich nicht auf dich einlassen, schrie er, weil du noch besetzt bist von diesem Pinselaffen!
Ja, schrie ich zurück und riss mich los, so ist es, aber ich habe dir nie etwas vorgemacht!
|173| Und am Ende haben wir doch zusammen geschlafen und es war intensiv und verrückt und ich war erstaunt, dass es so war.
Und dann kam ich nach Hause und fand einen Brief von Jackson! Außer mir vor Aufregung rannte ich durch die Wohnung, mit dem
Brief in der Hand, dann riss ich ihn auf und las. Las, dass er an mich denkt und dass er sich nicht auf mich festlegen kann
und dass er gern ein Buch für mich schreiben würde, es aber nicht tut, und ich fing an ihn zu hassen und zerknüllte den Brief
und faltete ihn wieder auseinander und las ihn wieder und wieder, um die Worte zu begreifen, und ich trat gegen den Ofen und
schlug die Wände. Und dann hab ich sein Bild eingepackt und im Schreibzimmer hinter den Schrank gestellt. Obwohl es hinter
dem beschissenen Schrank vorguckt, weil es so beschissen groß ist. Ich hasse dich, Jackson, habe ich ihm geantwortet, schreib
mir bloß nicht wieder! Bleib in deinem australischen Busch und verrecke. Künstler, die heute was werden wollen, gehen nach
Amerika und nicht nach Australien, du kannst ruhig verrecken!
TAG EINS nach dem Brief. Ich habe geträumt, er sitzt nackt auf einer Krankenhausbahre; sein Gesicht ist blau angelaufen.
Jackson hat geschrieben, dass er sich nicht festlegen kann.
Das ist Jacksons Tod.
Nicht weinen! Nicht weinen!
TAG DREI nach Js Brief. Heute Nacht träumte ich, dass Jackson über mir in der Wohnung eine riesige Plastik machte, aus Schaumstoff,
die aussah wie ein Frauenkörper und gleichzeitig wie etwas sonderbar Fremdes, das ich nicht einsortieren konnte, und plötzlich
brach das Ding krachend durch die Decke herunter in meine Wohnung. Das Ding wuchs und wuchs und füllte das ganze Zimmer und
ich geriet völlig in Panik und wachte auf, weil ich keine Luft mehr bekam.
Ich schlief wieder ein und träumte, dass ich mit Jackson |174| Spaghetti aß und die Nudeln plötzlich in einer Form durch die Luft flogen und wir völlig
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