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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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hockten dann zu dritt herum, bis ich aufstand und sagte, ich müsste lernen, oder bis Eva uns beide hinauswarf.
     Ich brauchte viel mehr Schlaf, als ich bekam, deshalb trank ich Unmengen Kaffee und rauchte viel. Robert hielt uns Vorträge
     über die Bedeutung der Imagination und forderte uns auf, uns dazu zu äußern. Er sprach oft vom Bild, das man von einem anderen
     hat. Eva zwinkerte mir hin und |183| wieder unbemerkt zu, und ich freute mich, ohne zu verstehen, weshalb.
    Diese Nächte kannten oft kein Ende; wir dachten nicht an den kommenden Tag, wir sahen nicht auf die Uhr, wir aßen, wenn wir
     Hunger hatten, und trennten uns, wann es uns einfiel. Den Gedanken schienen alle Richtungen erlaubt; manchmal fühlte ich mich,
     als hätte ich eine erhöhte Temperatur, kurz vor dem Fieber, doch angenehm. Diese Nächte werde ich niemals vergessen.
     
    Wie wenig ich von Robert wusste.
    Robert las uns Gedichte vor, von sich und anderen, Rimbaud, Majakowski. Seine Stimme, zunächst brüchig schüchtern, wurde beim
     Lesen immer voller und dunkler. Ich sehe sein Gesicht in dieser Zeit, blass und glühend, konzentriert und wehmütig. Wie er
     sich allmählich auszog, vor Eva, mit mir als Zuschauer.
     
    Und Eva? Kannte ich sie? Wie sie lauschte, mit geschlossenen Lidern, unter denen ihre Augen sich unruhig bewegten?
    Manchmal denke ich, ich mache mir etwas vor. Es ist vor allem diese Stimmung, fiebrig und von einer fast schmerzlichen Genauigkeit,
     sich selbst leben zu fühlen, an die ich mich erinnere. So, wie man den Atem bei großer Kälte in die Lungen eindringen fühlt.
     Diese Empfindung trifft mich, wie manchmal überraschend ein Lied aus dieser Zeit, die ich dann sofort schmecke. Aber erst,
     seit ich Heumann getroffen habe. Davor lag ein langes Vergessen. Das gibt es.
    Das gibt es, weil ich den Typen nicht mochte, der mich auf den Fotos von damals ansah. Diese Bilder lösten ein solches Unbehagen
     in mir aus, dass ich sie, als sie mir nach ein paar Jahren einmal beim Aufräumen in die Hände fielen, sofort wegpackte, erleichtert,
     nicht mehr dieser Konrad sein zu müssen.
    Als ich sechsunddreißig Jahre alt war, gab es einen Bruch in |184| meinem Leben. Damals arbeitete ich für eine Kanzlei, die das Flughafenprojekt Schönefeld betreute, das in der Öffentlichkeit
     heftig umstritten war. Bei einer der ewigen Pressekonferenzen griffen Umweltschützer uns an. Während ich juristisch argumentierte,
     sah mich eine junge Journalistin erst kopfschüttelnd, dann mit wachsender Verachtung an. Sie hatte kurzes rotblondes Haar
     und einen kleinen Kussmund. Auf ihrem braunen Parka leuchteten handgenähte grüne Frösche.
Du zerstörst das Moor
, stand in roten Buchstaben auf einem Stück Stoff, das sie mit Sicherheitsnadeln auf ihrem T-Shirt angebracht hatte. Als wir den Saal verließen, baute sie sich vor mir auf, zog die Nase kraus und sagte: Weißt du, was das
     Perverse ist? Du glaubst ja selber nicht, was du da erzählst. Du musst dich doch total ankotzen!
    Der Zyniker in mir amüsierte sich, ich machte einem Kollegen gegenüber sogar einen Witz über sie. Aber als ich zu Hause in
     meine Tasche griff, um meine Zigaretten herauszunehmen, fasste ich in etwas Glitschiges. Ich schrie auf, dann sah ich: Sie
     hatte mir eine Handvoll Schlamm in die Tasche geschleust! Und mittendrin steckte ein Frosch aus Blech, der mich mit großen,
     verdreckten Augen anglubschte. Fassungslos und hektisch fing ich an, die Sauerei zu beseitigen, bis ich mich plötzlich in
     meinen Sessel fallen ließ und heulte. Ich blieb lange sitzen und dachte plötzlich daran, wie müde und lustlos ich jeden Morgen
     ins Büro fuhr. Wie sehr mich die Kollegen nervten. Wie lange ich schon kein Buch mehr gelesen hatte. Irgendein Konrad sagte:
Du wirst doch nicht wegen einer Ökotante zum Paulus werden? – Nein,
antwortete ich. Und dann:
Opa würde sich im Grab umdrehen.
    Es gibt in der Kulturgeschichte Zyniker, die große Moralisten waren, Céline zum Beispiel, und in ihrer scheinbaren Verachtung
     für die Welt die Trauer um eine bessere verbargen. So wie die romantische Ironie durch ihren Bezug zum Metaphysischen eine
     Produktionsform war, das Ventil für die Verfestigung des Stils – eine Freiheit –
    |185| Der Zyniker Konrad war gar keiner. Er war in irgendeine Existenz hineingerutscht, nicht einmal aus Gleichgültigkeit, sondern
     aus Unachtsamkeit. Er war
verfestigt.
Man glaubt gar nicht, wie leicht das geschieht.
Opa, Opa
, sagte ich oft

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