Naechte am Rande der inneren Stadt
fiel in Roberts Schoß. Sie schlief auf der Stelle ein.
Im Januar ist es dann passiert. Ich hab es ihr angesehen.
Eva druckste herum. Sie und Robert wurden befangen, alle beide. Ich blieb nicht mehr so lange, wenn ich sie nach Hause |193| brachte; ich verabschiedete mich unter einem Vorwand schon vor der Tür. Sie nickte zerstreut.
Eva trug trotz der Kälte bunte Kleider; mit dicken Wollstrümpfen und Strickjacken; ihr Haar stand dunkel leuchtend vom Kopf.
Sie war zum Weinen schön, transparent ihr Gesicht, ihre Lippen rot ohne jeden Lippenstift, ihr Körper ein schwingendes Lied.
Und dann gab es wieder eine Überraschung.
Groß, gut aussehend, mit schlenkernden Armen stand ein wildfremder Mann in der Tür, sie vergnügt daneben, als Robert und ich
an einem Samstag bei Eva vorbeischauten. Eva stellte uns kurz vor, halb deutsch, halb französisch: Ihr alter Freund aus Paris,
ein Übersetzer, er habe hier zu tun. Es musste der Mann sein, von dem sie mir nur ein einziges Mal, und das auch nur sehr
knapp, erzählt hatte. Kein Wort hatte sie von diesem Besuch zuvor erwähnt!
Paul bleibt nur ein paar Tage, sagte sie.
Paul sah uns an, zuckte mit den Achseln und machte ein bedauerndes Gesicht. Eva lächelte, zog ihren Freund in die Wohnung,
sagte
bis dann!
zu uns und machte die Tür zu.
Robert und ich standen verdutzt im Flur: Der Franzose war drin und wir blieben draußen!
Robert tobte. Ich trank die halbe Nacht mit ihm, bis er mir gestand, was bis dahin unausgesprochen geblieben war. Wir hockten
da wie zwei Idioten, an der Nase herumgeführt von Fräulein Eva. Mit Roberts Sanftmut war es aus. Ich beschwichtigte ihn.
Ich begreife das nicht, sagte er, sie war fix und fertig, und jetzt vögelt sie in der Gegend herum!
Ach, Robert, sagte ich.
Aber sie hat gesagt –
Er stotterte. Ich hätte ihm am liebsten erzählt, was ich wusste, von Evas Hingabe. Wie sie sich aufbäumte, vor Glück. Wie
versessen sie darauf war. Ich wusste, wie sie war, und ich |194| war stolz darauf, dass ich es wusste. Ich mochte nicht daran denken, wie Robert ihr sagen würde: Ich will mit dir schlafen,
es kam dennoch in meinen Kopf, ganz trocken hörte ich seine Stimme in meiner Fantasie, sie würde so nackt klingen, wie meine
geklungen hatte –
Dieses Mal war ich es, der mit den Achseln zuckte. Robert fluchte und redete wie irre, über ihre Anfälligkeit für das Sinnliche,
die er verabscheue; die Haut über seinen Backenknochen war gespannt. Er ließ alle Zurückhaltung fallen, und ich sah ihn, wie
sie ihn sehen würde, wie sie mich gesehen hatte: ohne Versteck.
Es ist ihr wunder Punkt, sagte er, das muss man ihr austreiben! Und seine Augen bekamen den leeren Ausdruck, den ich schon
einmal an ihm erlebt hatte.
Ich lächelte nur. Ich war gespannt, ob sie ihm geben würde, was ich allein aus Höflichkeit niemals für mich in Anspruch genommen
hätte: ihre Treue.
Meine Melancholie kommt aus dieser inneren, höflichen Schicht, die manche mit Gleichgültigkeit verwechseln.
Dann wieder befielen mich Zweifel: Wie konnte Eva nur so unbekümmert sein? Merkte sie nicht, wie traurig ich war und dass
Robert innerlich raste? War es ihr denn völlig egal?
Wer weiß. Zwei oder drei Wochen nach der Begegnung im Flur rief Robert frühmorgens an und sagte mit tonloser Stimme: Sie fährt
nach Paris. Zu diesem Typen.
Sie macht, was sie will, sagte er.
Ja, dachte ich, zum Glück.
Ich wusste, es war das Ende für mich. Ich ahnte, dass nach dieser Reise etwas zwischen ihr und Robert geschehen würde, das
mich noch mehr ausschloss als ihre neue Verliebtheit.
Ich folgte ihr heimlich an dem Nachmittag, als sie den Zug nach Paris nahm. Ich wollte wissen, ob Robert kommen würde, um
sie zu verabschieden. Als ob etwas davon abhinge.
|195| Ich sah Eva schon von Weitem, helles Gesicht, dunkles Haar, tiefblauer Mantel, roter Schal, etwas Lila, eine bunte, bewegte
Figur.
Sie leuchtete auf dem grauen Bahnhof wie ein ausgebüxter Papagei.
|197| IV.
Eisnächte
|199| 1 (Ensemble: Paris)
Im Zug. Januar 1987
So reise ich: im Rock, ein buntes Muster, mit Lila, wie es meine Strümpfe sind und wie es in den Schuhen erscheint, mit der
Lasche und dem hell glänzenden dicken Knopf. Der Mantel ist blau, der Schal rot, nicht dieses ewige wintertrübe Schwarz.
Der Zug fährt um halb fünf am Nachmittag hier los und ist morgen früh um sechs in Paris am
Gare du Nord
.
Zuletzt musste ich doch wieder rennen,
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