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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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musste mich beeilen, meine Sachen zusammenzusuchen. Robert, wenn er kommt, um Josef
     zu füttern, wird sich freuen, überall meine Spuren zu finden; Kerze und Krümel vom Frühstück. Die Zeitung und das Geld für
     das Futter habe ich ihm daraufgelegt, ohne ein Wort, da ich glaubte, ihn am Bahnhof noch zu sehen.
    Ich holte mir einen Kaffee auf dem Bahnsteig, der genau richtig war, ein richtig guter Auf-dem-Bahnsteig-sitzen-und-auf-Robert-und-den-Zug-warten-Kaffee.
     Genau darauf konzentrierte ich mich, und ich hatte zum ersten Mal ein Gefühl fürs Abreisen, Verreisen, Wegfahren. Ich dachte
     an nichts anderes. Ich sah Robert in einem Prüfungssaal sitzen und Probleme |200| der Computertheorie für Ingenieure lösen, hoffte, dass er früh genug fertig würde, um zum Bahnhof zu kommen, starrte vom Gleis
     herunter auf die Treppe zum Glashaus der Reichsbahn, wo die weiblichen Zerberusse der DDR in ihren grauen Uniformen sitzen
     und keinen ohne Bahnsteigkarte passieren lassen.
    Langsam wurde es knapp. Ich wollte nicht, dass der Zug einlief, bevor Robert käme. Aber der Zug kam. Ich musste einsteigen.
     Ich fand nah zum Ausgang einen Platz und hing schon wieder am Fenster, vielleicht sähe ich sein Gesicht wenigstens noch aufleuchten,
     in letzter Minute.
    Ich fühlte es so, als wäre er tatsächlich gekommen.
    Plötzlich hatte ich Magenschmerzen, als wollte etwas in mir nicht abreisen. Ich stellte mir vor, wie er mich abholte und wir
     durch den frühen Morgen, bevor die Stadt richtig munter wird, zu uns nach Hause liefen, als käme ich schon wieder zurück.
     Wir könnten Croissants kaufen und starken Milchkaffee kochen, dachte ich, gefangen in meinem Wunsch.
     
    Kaum ist der Zug losgefahren, kaum bin ich fort, spulen mir Bilder und Worte durch den Kopf. Ich habe schon lange kein Tagebuch
     mehr geführt. Ich kam nicht dazu. Ich bin froh, mit dieser Reise eine Zäsur machen zu können. Ich will mir in Ruhe die letzten
     Wochen vor Augen führen, sie schmecken, sie von allen Seiten betrachten und bedenken wie die Figuren von Rodin, die ich in
     Paris sehen werde.
     
    In der Gegend, durch die wir fahren, die auch Deutschland heißt, hat es geschneit. Ansonsten herrscht smogartiger Nebel hier,
     dunkelgrau. Vorhin gab es noch ein helleres Licht hinter den Wolkenschwaden, auch sah man noch blass überwinterte Wiesen,
     in denen abgetautes Schneewasser saß. In der Ferne eine Handvoll Häuser. In meinem Abteil sitzen wir zu viert, ein spanisches
     Ehepaar, ein Mann und ich, nachher klappen |201| wir die Liegen für die Nacht herunter. Der Zug kommt aus Moskau. Die Sitze sind rot und die Plätze nicht voneinander abgetrennt.
     Ich sitze am Fenster.
    Eines weiß ich: dass ich vor nichts ausrücke oder mich drücke.
     
    Der Mann, der mir gegenübersitzt, trägt einen schwarzen Pullover, schwarze Kordhosen und ein Hemd mit Streifen, wie mein Vater
     sie trägt. Er hat einen Brief gelesen und Notizen gemacht, in Zeilen, wie man Gedichte schreibt, und sofort musste ich wieder
     an Robert denken. Seit er nachts manchmal neben mir schläft, an meinen heißen Körper rückt und im Halbschlaf meine Hand fasst,
     hat er fast nichts geschrieben. Sagt er. Stimmt nicht. Er hinterlässt mir Zettel und Briefe und Gedichte.
Liebste Milena
, steht darüber. Heumann sagt, in unserer Generation würde es mehr Künstler und Schriftsteller geben als jemals zuvor. So
     wie früher die höheren Töchter alle das Klavierspielen lernten, so studieren wir Kunst oder Literatur.
     
    Die langsame Verästelung zwischen Robert und mir wächst.
    Manchmal sehen wir uns nur an und wissen, dass wir dasselbe fühlen. Jede Dissonanz, und sei sie auch noch so klein, nehmen
     wir gemeinsam wahr, genauso wissen wir beide gleichzeitig, wann das Paradies wolkenlos ist. Diese unvermittelte, wortlose
     Gemeinsamkeit ist es. Gestern lagen wir still beieinander und nahmen mit Zärtlichkeit wahr, dass es uns gar nicht drängte,
     wegen unserer bevorstehenden Trennung miteinander zu schlafen.
     
    Konrad sagt, er sei nicht eifersüchtig, weil er mit uns zusammen sein darf. Vorgestern hätte ich ihn fast geküsst.
    Ich werde Robert niemals sagen: Heute vor einem Monat, heute vor zwei Monaten hast du deine erste Nacht bei mir verbracht.
     So wird es niemals sein!
    |202| Wir liefen im Dezember ums Karree, tranken Kakao im Literaturhaus, stöberten zusammen in Buchhandlungen. Er klingelte bei
     mir; einige Male besuchte ich ihn in seiner Wohnung. Grauer Teppich;

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