Naechte am Rande der inneren Stadt
Schreibtisch und Regal schwarz, Sofa weiß. Woher hast
du das Geld? frage ich. – Ich habe bei meinem Vater gejobbt, antwortet er. Ich mag schöne Dinge. – Er hat sich sogar eine
Gasetagenheizung eingebaut und eine aufstellbare Dusche in die Küche. Eine riesige Bananenpflanze steht im größeren der beiden
Zimmer zwischen den Fenstern, im kleineren gibt es nur das Bett. Im Flur sitzt auf einer Konsole, von einem Punktstrahler
beleuchtet, ein lächelnder Buddha aus Stein. An den Wänden daneben: vergrößerte Fotografien von buddhistischen Gärten, in
denen Mönche Muster in die Kiesel gerecht haben. Sie machen das als Meditation, sagt Robert. Er liest viel über den Buddhismus,
aber er kann nicht meditieren. Ich müsste es lernen, sagt er, aber ich fahre lieber auf dem Mountainbike durch den Wald. –
Kann ich verstehen. – Wir redeten über Filme, und Robert gab mir Gedichtbände zu lesen und Erzählungen von Kafka. Er verehrt
Kafka. Robert lag immer öfter auf den weißen Dielen meines Zimmers, auf einen Arm gestützt, und sah mich an, schwieg plötzlich
mitten im Gespräch.
Die Grenze. Die übliche Pause, das Warten auf die Grenzer. Das spanische Ehepaar muss seinen Koffer öffnen. Wir bekommen unsere
Transitstempel.
Hannover, die Liegewagen werden angehängt. Der Aufenthalt dauert länger. Auf dem Bahnsteig eine Telefonzelle. Ich sprang hinaus
und rief Robert an. Er hat nicht abgenommen. Ich hätte gern seine überraschte Stimme gehört. Ich hätte ihn um irgendetwas
bitten können, oder nichts sagen.
Es ist ja gar nichts festzulegen, es ist nur gut, dass es jetzt diese Zäsur gibt, ich kann nicht erklären, warum; damit die
Sehnsucht wieder ganz frisch und neu wird vielleicht. Der erste |203| Kuss, bei dem wir alles weitere schon wussten. Er stand in der Tür, wollte gehen, doch stattdessen drehte er sich um und küsste
mich. Wir knallten rückwärts gegen die Wand. Wir hörten nicht auf.
Dass ich so viele Lieben hatte, macht mir die Unternehmung Liebe fragwürdig. Ich muss nachdenken! Ich will Robert nichts davon
erzählen! Nichts! Ich möchte alle Wörter wegschmeißen, die mich von ihm entfernen könnten!
Also nur die Gestalt, die, drei Stufen auf einmal nehmend, zum Bahnsteig hochspringt, die schwarze Hose um die Beine, die
dunkelgrüne, kompakte Winterjacke, das gestutzte Haar, der kleine Goldohrring, die helle Haut, manchmal wie mein eigenes Gesicht
heftig gerötet, oft aber leuchtend weiß, wie neulich, als er überraschend vor dem Buchladen stand. Manchmal läuft eine dicke
Einkerbung in großem Bogen von den Augen über die Wange. Der Schatten der Bartstoppeln.
In der Nacht nach dem ersten Kuss träumte ich, dass er einer anderen Gedichte schrieb. Er ist morgens so sanft – nie muss
ich etwas sagen. Ganz von selbst hat er verstanden, dass ich vorsichtig vom Träumen in den Tag gelangen muss. Ich dachte,
das Geheimnis mit ihm wäre das Sprechen. Aber irgendwann kamen wir damit nicht weiter.
Vor drei Tagen saß er bockig in meinem Zimmer. Er verstand nicht, weshalb ich nach Paris fahren wollte. Er küsste mich und
schob mein Hemd hoch, dann wurde er wütend.
Schläfst du noch mit Benno? fragte er. Wirst du mit dem Franzosen schlafen?
Mit Benno, das ist erledigt, sagte ich. Das andere muss ich klären.
Verschlossen und stumm hockte er da. Ich wollte allein sein, lesen, ich konnte ihn aber auch nicht wegschicken. Also las ich. |204| Ich komme wieder, sagte er nach zwei Stunden und sprang auf, nimm dich in Acht!
Später rief er an und entschuldigte sich.
Es gibt nichts zu entschuldigen, sagte ich.
Ich will keine Zärtlichkeit, sagte er zornig, ich will mit dir kämpfen. Auch wenn es in diesem Kampf keine Sieger gibt.
Es gibt nur Besiegte, wollte ich antworten, da hatte er schon aufgelegt.
Ich spürte, dass er mich bezwingen wollte, obwohl er immer behauptet, Buddhist sein zu wollen und die Dinge sanftmütig geschehen
zu lassen. Er hält mich für eine Spielerin.
Im Dezember dachte ich noch, dass es möglich sein müsste, die Liebe zu mehreren Männern zu leben. Für eine Zeit fand ich nichts
schöner als allein zu sein. Ich saß in meiner stillen Wohnung und las und schrieb und dachte nach. Alles war so konzentriert.
Manchmal ging ich zu Benno, manchmal sah ich Konrad, manchmal besuchte ich Robert. Robert und ich unterhielten uns. Er zeigte
sich oft überraschend schüchtern. Wir waren immer ernst. Als er sich
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