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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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über
     Gegenstände, Räume und Landschaften so langsam gleiten, wie man es nur im Traum erleben kann. Oder wie ein Bildhauer, der
     um den Stein herumgeht und die Form herausarbeitet.
    |207| Unsere Gespräche wurden immer direkter. Robert gestand mir, dass er oft Angst vor der Leere in seinem Kopf habe, sie befalle
     ihn immer wieder und er wüsste nicht, weshalb.
    Du darfst nicht davor weglaufen, sagte ich. In diesem Augenblick fing ich an in seine Augen hineinzuwandern, ohne Gepäck,
     ohne Vergangenheit, ohne Plan.
    Daraufhin holte er ein Buch aus der Tasche und las mir vor, was ein Leningrader Arbeiter an Tarkowskij geschrieben hatte, nachdem er seinen Film ›Der Spiegel‹ gesehen hatte:
Die Fähigkeit zuzuhören und zu verstehen, ist von hohem Wert... Wenn zwei Menschen zumindest ein einziges Mal ein und dasselbe
     zu empfinden vermögen, werden sie einander immer verstehen können, sogar dann, wenn der eine in der Eiszeit und der andere
     im Atomzeitalter leben sollte.
    Unsere Lippen still aneinander, unsere Wangen, minutenlang, die Füße eiskalt, zwanzig Grad minus.
     
    Wenn die Kultur unsere zweite Natur ist, sind dann die Werke der Kultur nicht wie Landschaften, in denen wir uns spiegeln?
    Vielleicht gibt es in unserem Alter keine stabilen Beziehungen? Vielleicht müssen wir die Liebe erst einmal studieren? Ist
     die Liebe Natur? Weil wir Körper sind und mit dem Körper Liebe empfinden? Ist die Liebe eine Struktur? Die Natur hat viele
     Strukturen.
    Heumann sagte mir nur einen Satz über Benno: Du hast seine Eitelkeit verletzt, er wird an dir zerren, wie er kann und solange
     du es zulässt.
    Ich ging Benno aus dem Weg.
    Und ich ließ mich immer weiter auf Robert ein, und unsere Nächte wurden immer schöner. Robert sagte: Es interessiert mich
     nicht, ob und wie oft du mit deinem Typen schläfst, ich will dein Inneres wissen, was da vor sich geht – und er tippte auf
     meinen Kopf.
     
    |208| Das spanische Ehepaar in unserem Abteil hat ein Picknick ausgepackt. Sie haben uns beiden anderen Salami, Brot und Wein angeboten;
     wir redeten eine Weile miteinander, dann kam der Schaffner und richtete die Betten für die Nacht her, steife weiße Laken und
     graue Wolldecken wie vom Militär. Ich bedankte mich, verkrümelte mich auf die oberste Liege und überließ mich dem gleichmäßigen
     Rattata des Zuges.
     
    Paris
     
    Paul ist umgezogen. Er wohnt jetzt nahe dem Turm Montparnasse und sagt, bald würde die Gegend saniert und das Haus, in dem
     er wohnt, abgerissen. Seine Wohnung liegt im vierten Stock unter dem Dach, er hat einen Diwan mit einer gemusterten Decke,
     auf dem wir schlafen, einen riesigen Schreibtisch, viele Bücher. Das Zimmer ist voller Dinge, die er aus Nordafrika mitgebracht
     oder hier im Norden der Stadt bei den Afrikanern gekauft hat.
    Ich kam spät an, wir gingen schlafen nach etwas Käse und Wein. Ich schlief sofort ein, obwohl er mich fragend ansah.
    Am Morgen brachte er mir einen Kaffee ans Bett. Er sagte: Ich habe dich im Schlaf betrachtet. Etwas ist anders. Ich muss in
     die Bibliothek gehen, ich rufe dich in der Mittagspause an.
    Wir sollten uns lieber am Abend treffen, sagte ich, sonst muss ich hier auf deinen Anruf warten.
    Er küsste mich.
    Paul übersetzt Romane aus dem Russischen und Englischen.
    Ich verbrachte den halben Tag im Louvre und wanderte lange am Seine-Ufer entlang, nahm den Bus ein Stück, stieg an der Place
     Saint-André-des-Arts aus und kaufte bei
Lejeune
Papier, Blöcke und Stifte.
    An wen denkst du? fragte Paul abends beim
Couscous.
    Wir aßen bei einem Libanesen im Viertel unterhalb von Montmartre. Paul liebt diese Gegend, er würde gern dort hinziehen. |209| Es ist das einzige Viertel, in dem Juden und Araber friedlich in einer Straße zusammenleben.
    Ich dachte, es zieht dich mehr in den Norden der Stadt.
    Die Nordafrikaner liebe ich, sagte er, und die leben dort nicht.
    Stimmt nicht, sagte ich, ich kannte zwei nette Tunesier dort –
    Hör mir auf mit deinen alten Geschichten!
    Wir lachten. Tatsächlich hatte ich in meinem Pariser Jahr ununterbrochen Leute aus allen möglichen Ländern kennengelernt und
     war mit fast allen nach Hause gegangen, um mehr über sie zu erfahren.
    Was ist los? fragte er.
    Ach, sagte ich, ich kann doch auch mal traurig sein.
    Du weißt doch genau, was ich meine, sagte er.
    Ich brauche eine Pause, sagte ich.
    Es ist der kleine blasse Mann, stimmt’s?
    Sche pa
, sagte ich,
je ne sais pas,
ich weiß nicht.
    Lügnerin,

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