Naechte am Rande der inneren Stadt
sagte er. Ich nickte.
Seit wann ist das ein Problem für dich? fragte er.
Ich weiß es nicht, sagte ich.
Ich habe es gewusst, sagte er, du bist unverbindlich.
Ich hätte ihm am liebsten eine geklatscht.
Wer wollte denn nicht, dass ich nach Paris ziehe?
Nicht so schnell, sagte er.
Wer musste denn noch seine alten Lieben treffen?
Er zuckte die Achseln. Das hat nichts zu sagen, sagte er.
Es hat keinen Sinn, mit dir darüber zu reden, sagte ich. Ich bin hier wegen Rodin.
Und kein bisschen wegen mir? fragte Paul.
Nein, sagte ich und musste grinsen.
Dann schmeiße ich dich sofort raus! sagte er.
Das macht nichts, sagte ich, dann rufe ich eben deine Schwester an.
Du Biest, sagte er und lachte.
|210| Wir hatten eine Flasche Rotwein getrunken. Ich schwankte und kicherte, er zog mich die Treppe hoch. Im Bett versuchte er,
mich zu verführen. Er nahm mich ganz fest in den Arm, er wollte mich küssen, er schmiegte sich fest an mich. Er ist groß;
sein Körper hat etwas Gewalttätiges, Drängendes.
Hör auf, sagte ich,
arrête
!
Alles, was zurückkam, war ein
arrête -
Papagei, der sich lustig macht. Ich biss fest zu, in seinen Arm.
Er ließ los.
Diese Art hasse ich, nicht aufzuhören, wenn ich sage, hör auf.
In der Dunkelheit, nach seiner Attacke, musste ich weinen, wie früher oft, wenn ich mit ihm schlief. Ein Leichtes, ihm nachzugeben,
ich weiß genau, wie es wirkt, aber ich will das nicht mehr. Er liebt Männer und begehrt Frauen. Hat er gesagt. Ich bin froh,
dass er mir nicht mehr den Schlaf raubt. Diese entsetzliche Eifersucht, die ich wegen ihm auszustehen hatte! Dieses schreckliche
Auf-ihn-gerichtet-Sein, das mich lähmte! Gut, dass ich darüber hinweg bin.
Können wir nicht Freunde werden, frage ich, ohne diese blöden
désir -
Geschichten?
Ich weiß nicht, sagt er.
Ich habe ihm nicht gesagt, dass es jemanden gibt, den ich nicht betrügen will, denn genau genommen ist dies Robert gegenüber
gar nicht die Frage. Da ist nichts zu beweisen, er hat gesagt, er fühlt, dass ich auf seiner Seite bin. Und doch ist es genau
das, was ich hier wissen wollte. Ob ich Nein sagen würde. Zu Paul.
Ich bin jetzt drei Tage hier, Paul hat nicht mehr versucht, mich zu verführen. Die Stimmung ist mäßig. Er nimmt mich abends
nur noch fest in den Arm, vorm Einschlafen, und legt seine Hand auf meine Brust.
|211| Robert hat mir einen Liebesbrief geschrieben! Ich musste fast weinen vor Rührung und Freude. Paul war außer sich.
Das hättest du früher sein müssen, sagte ich.
Es ist Spätnachmittag, ich sitze in meinem alten Lieblingsbuchladen mit dem Café an der Seine, mit den cognacfarbenen Tapeten
und dem Kamin. Das Feuer prasselt im Kamin, ich trinke einen richtigen Kakao, bittersüß und fett. Ich will zurück nach Berlin.
Ich habe keine Lust mehr auf destruktive Verhältnisse mit Leuten, deren innere Aufspaltung in Begehren und deklarierte Liebesunfähigkeit
unheilbar ist. Ich kann sie nicht heilen und ich will es auch nicht. Langsam lerne ich etwas über glückliche Verhältnisse,
außerdem fürchte ich, in mir selber gibt es genug zu heilen. Robert macht mir Hoffnung. Was ich suche, ist ein Du, ein radikales
Du.
Tagsüber
Musée Picasso
, abends im Lokal mit Paul. Der Kellner schmatzt und irgendwo läuft ein Wasserhahn, als säßen wir alle auf dem Klo. Paul hat
eine Schwäche für düstere Ecken; der Bourgeois von Haus aus liebt das Proletariat, wie er es immer nennt. Ich habe den ganzen
Tag Nasen gezeichnet. Paul fing irgendwann beim Essen an zu lachen.
Das hätte ich nicht geglaubt, sagte er.
|212| Heute Abend gehen Paul und ich essen und versuchen, Freunde zu werden.
Mittwoch im
Centre Beaubourg
Kokoschka, Donnerstag
Musée Quai d´Orsay
(ich schickte Heumann eine Karte), Freitag
Musée de lárt moderne
: Ich kann nix mehr sehen. Morgen arbeitet Paul. Sie haben jetzt überall Säulen mit Videos aufgestellt, die ständig ablaufen.
Um die Leute in der Métro nicht in Verlegenheit zu bringen, miteinander zu reden? Wir sehen ›
Mauvais Sang‹
von Patrice Chéreau im Kino, Paul nimmt meine Hand und lässt sie nicht mehr los. Ich muss noch zu Rodin, dann reise ich
ab.
|213| Es schneite, als ich im
Musée Rodin
war: ich hatte plötzlich einen Koller, sprang durch den Garten im Schnee herum und hatte das Gefühl, dass der geformte Stein
atmete und mich ansah, und ich hätte am liebsten die Skulpturen geküsst. Natur! Kultur! Ich streichelte die
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