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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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, als der Aufpasser gerade nicht guckte. Ich laufe über vor Zärtlichkeit.
     
    Abschied
     
    Im Zug, der von Paris über Berlin Zoo weiterfährt nach Moskau. Ich habe keine Taschentücher mehr, weil ich beim Abschied ein
     ganzes Päckchen verschnieft habe. Jetzt sitze ich mit sauber gewaschenen Augen in einem richtigen Schlafwagenabteil für mich
     allein – Paul hat es mir bezahlt – und meine Hände sind kalt und steif. Ich fahre Richtung Osten und könnte schreien vor Freude!
     Draußen ist alles weiß. Siehst du, Jackson, ich schlafe nur mit einem! Ich schaffe das!
    Es ist ein russischer Zug. Die roten Bezüge sind aus einer Art Samt, mit kleinen Bordüren; und es gibt sogar ein winziges
     Waschbecken mit einem Wasserhahn aus Kupfer! Ich komme mir vor wie in einem Tarkowskij-Film, nur dass in denen alles immer
     so ärmlich ist. Es gibt
tschai
, guten, heißen Tee, in einem kleinen Gläschen. Und der Schaffner spricht einfach Russisch mit mir.
Spassibo, karascho
. Danke, gut.

2 (Ensemble: Berliner Winter)
    Ich bin eine russische Prinzessin. Es schneit, es ist eisekalt, wir müssen viele Kohlen aus dem Keller hochschleppen, ich
     höre Prokofieff, Schostakowitsch und träume von Schuld und Sühne. Heute Nacht besuchte mich mein Freund der Nacht |214| und ich wurde zum Mädchen, scheu in allen Berührungen, kniete zärtlich vor seinem schneeweißen Körper
, Aufmerksamkeit das natürliche Gebet der Seele
, wie Wittgenstein das nennt. Draußen heulten die Wölfe der Steppe... und drinnen saß der Kater am Ofen. Der Schlaf war tief
     und schön, und der seine so leicht, dass ich dachte, er wäre fortgegangen, als ich erwachte.
    Es ist jetzt in der Küche so kalt, dass das Katzenfutter eingefroren ist. Wenn ich aufs Klo gehe, ziehe ich den Mantel über.
     Ich trage in der Wohnung die gefütterten Stiefel wie draußen. Ich heize nur das große Zimmer, ich koche meinen Tee auf dem
     Ofen. Ich lese Gedichte von Marina Zwetajewa. Sie war arm und musste ins Exil, sie schrieb, eigentlich ist jeder Dichter ein
     Emigrant, auch einer in Russland. Sie ging zurück in die Sowjetunion, 1939, aus Liebe; sie hackte die Liebe auf, die Eifersucht,
     die Diktatur, und die Grammatik. Sie liebte Männer und Frauen – ach was hab ich’s hier gemütlich, ich liebe das Geräusch,
     das der Ofen macht – wie klein bin ich – wie undramatisch unser Leben. Wir verheizen Kohlen, und sie verheizte sich selbst.
     Ich liebe die Kohlen in meiner Hand, ich bin ja nicht bei Trost!
    Papa hat angeboten, mir eine Ladung Kohlen extra zu bezahlen, er hat gefragt, ob ich vorübergehend bei ihm wohnen möchte.
     So ein Quatsch! habe ich gesagt. Gut, hat er gesagt, ich muss nach Kuweit, pass auf dich auf, mein Kind! – Pass du lieber
     auf dich auf! Immer fährt Papa in Krisengebiete; er wird dort als Techniker gebraucht.
    Komm mich doch mal besuchen, wenn ich wieder zurück bin, sagt er.
    Ja, Papa, habe ich gesagt. Ich habe die Neigung, mein Elternhaus komplett zu vergessen.
    Ich bin glücklich.
     
    Ein gleißend heller Wintertag, Frost, Sonne, Licht. Die Bürgersteige sind dick vereist. Ich musste an die Uni. In der Mensa |215| habe ich mit Leonhardt über Derrida diskutiert, und was es mit den großen Symbolen auf sich hat, ich habe ihm von Tarkowskij
     erzählt und mittendrin sah er mich sonderbar an und sagte: Es geht dir wieder gut.
    Jetzt wirst du eine Weile warten müssen, sagte ich.
    Das macht nichts, sagte er.
    Und dann redeten wir weiter über das Kino und den Tod und wie der Film die Zeit festhält und doch in ihren Fluss eintaucht.
     Dann stellten wir unsere abgegessenen Tabletts auf das Transportband und gingen unserer Wege.
     
    Warst du mit ihm zusammen? fragt Robert.
    Nein.
    Kann ich dir glauben?
    Ja.
     
    Gestern liebte ich R. mit meinem Mund, wir waren beide außer uns und extrem erhitzt, plötzlich nahm er seine Hände, fand den
     Weg nicht mehr zu mir; und obwohl es mich schockierte und verletzte, erregte es mich, ich fand es schön, wie er es machte,
     wie seine Hand mit seinem eigenen Körper umging. Dass er sich mir so zeigte. Es war mein erstes Mal.
     
    Wir lagen eine Weile Hand in Hand in der Dunkelheit. Unsere Körper berührten sich nicht. Ich hörte das Geräusch im Ofen, wie
     die Luft durchs Rohr abzog, und seinen Atem. Er atmete in kurzen Zügen. Seine Hand krallte sich in meiner fest.
    Machst du das oft? fragte ich.
    Tut mir leid, sagte er. Er schluckte.
    So war das nicht gemeint.
    Er

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