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Nächte des Schreckens

Nächte des Schreckens

Titel: Nächte des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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Gesicht verzerrt sich, und sein Blick wird seltsam starr. Dann stößt er mit abgehackter Stimme hervor: »Hab’ keine Angst vor den Deutschen, ich nicht! Wir werden sie vernichten!«
    Die beiden jungen Mädchen gehen in die zweite Etage hinauf. Sie lächeln ein wenig traurig. Zunächst hatte der Alte ihnen Angst eingeflößt, aber inzwischen haben sie sich an ihn gewöhnt. Er ist ein armer Mann, dessen Geist seit der Kopfverletzung verwirrt ist. Er könnte Hilfe brauchen, und sie haben ihm wiederholt angeboten, das eine oder andere für ihn zu erledigen, aber er hat jedesmal abgelehnt. Christine und Sophie vergessen diesen tragikomischen Zwischenfall rasch wieder. Dennoch hatte Auguste Bertoux auf sein Schild geschrieben: >Ich werde am 11. November angreifen<, und heute ist der 10. November 1958, acht Uhr abends. Der 11. November bricht in vier Stunden an...
    Die beiden Schwestern sitzen am Küchentisch und schreiben einen Brief, wie sie es jeden Tag zu tun pflegen. Sie schreiben an ihre Verlobten, die beide als Soldaten nach Algerien mußten. Robert und Guy stammen ebenfalls beide aus Nogent-sur-Marne und waren bereits Freunde, bevor sie die Schwestern auf dem Ball am Nationalfeiertag kennengelernt haben. Sie haben sich alle am selben Tag verlobt, und nach ihrer Rückkehr werden sie am selben Tag heiraten.
    Christine hebt den Kopf: »Schreibst du ihm, daß heute abend Ball ist? Es ist doch Martinstag...«
    Sophie hält im Schreiben inne.
    »Nein, denn wir gehen ja nicht hin.«
    »Dann schreib ihm eben, daß wir nicht gehen. Er wird sich darüber freuen.«
    Sophie dankt ihrer Schwester für die Anregung und beeilt sich, die Sache schwarz auf weiß niederzuschreiben, denn beide Schwestern nehmen es mit der Treue sehr ernst und haben ihren Verlobten geschworen, während deren Abwesenheit keinen Ball zu besuchen. An diesem Abend werden sie genauso brav zu Hause bleiben wie an allen anderen Abenden auch. Plötzlich läßt Christine ihren Federhalter sinken.
    »Was ist das denn schon wieder? Was ist heute nur mit dem Alten los?«
    Und tatsächlich dröhnt jetzt von unten aus einem uralten Grammophon ein Marschlied aus dem Ersten Weltkrieg.
    In der ersten Etage ist Auguste Bertoux damit beschäftigt, die beiden Rollen eines imaginären Dialogs zu bestreiten: »Wir werden um Mitternacht angreifen. Ich zähle auf Sie, Sergeant!« Er nimmt stramme Haltung an: »Wir werden sie alle schlagen, Herr Hauptmann!«
    »Gut so, Bertoux. Legen Sie jetzt Ihre Uniform an.«
    Der alte Kämpfer schlägt die Hacken zusammen. Er geht zum Kleiderschrank und holt einen Helm, eine himmelblaue Uniform sowie einen Ordonnanzrevolver hervor.
    Mit drohendem Lächeln sagt er dann: »Wir werden sie vernichten, Herr Hauptmann! Wir werden sie alle vernichten. Sie sitzen in der Falle!«
     
    Es klingelt an der Wohnungstür der Schwestern Lefèvre. Es ist neun Uhr abends. Christine und Sophie, die nach einer rasch eingenommenen Mahlzeit früh zu Bett gehen wollten, fragen sich verwundert, wer das sein mag.
    Doch hinter der Tür ertönt gleich darauf die Stimme ihres Bruders Jérôme: »Ich bin es. Macht auf!«
    Jérôme tritt ein. Er ist ein junger Bursche von achtzehn Jahren und trägt eine Bürstenschnittfrisur. Er ist jedoch nicht allein. Drei Jungen und zwei Mädchen sind in seiner Begleitung.
    Christine weicht vor dieser Invasion ein wenig zurück.
    »Ihr wollt euch doch nicht etwa alle sechs bei uns einladen?« fragt sie.
    Lächelnd erwidert Jérôme: »Im Gegenteil, wir wollen euch einladen. Wir gehen zum Ball.«
    Sofort schüttelt Christine den Kopf: »Du weißt genau, daß wir nicht gehen werden, Jérôme. Sophie und ich haben es geschworen.«
    Sophie mischt sich jetzt ein: »Wir würden schon gern mitkommen, aber wir können nicht. Laß es gut sein!«
    Doch Jérôme läßt nicht locker: »Aber ihr tut doch wirklich nichts Böses, wenn ihr mit mir und meinen Freunden hingeht...« Dann läßt er sich in einem Sessel nieder und erklärt: »Ich verlasse diese Wohnung nicht, ohne daß ihr ja gesagt habt.«
     
    Auguste Bertoux betrachtet sich im Spiegel seines Kleiderschranks. Mit der himmelblauen Uniform, dem Revolver im Gürtel und all den Auszeichnungen auf der Brust ist er eine eindrucksvolle Erscheinung.
    Er steht stramm und nimmt seinen imaginären Dialog wieder auf: »Zu Befehl, Herr Hauptmann!«
    »Stehen Sie bequem, Bertoux! Sie können jetzt mit den Vorbereitungen beginnen.«
    Und Auguste Bertoux begibt sich in die Küche. Diese ist ein

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