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Nächte des Schreckens

Nächte des Schreckens

Titel: Nächte des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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der Hand über die Stirn, während er im Geiste die Ereignisse jener dramatischen Nacht nochmals durchlebt.
    »Ich konnte alles durchs Telefon mitanhören. Menzels Schreie wurden immer lauter, und dann rief die Schwester: >Halten Sie ihn zurück!< Die Schwester ließ den Hörer fallen und setzte ebenfalls dem Patienten nach. Fünf Minuten später kehrte sie atemlos zurück und teilte mir mit, er sei entflohen. Ich sagte ihr, daß ich sofort kommen werde.«
    »Und dann?«
    »Wir haben die ganze Nacht nach ihm gesucht, sowohl im Klinikgebäude als auch in den umliegenden Straßen, aber wir konnten ihn nicht finden. Kein Wunder, denn er war ja bereits bei Ihnen.«
    Kommissar Petermann blickt den Arzt durchbohrend an: »Warum haben Sie in dem Moment nicht die Polizei verständigt?«
    »Ich verlor den Kopf. Ich hoffte bis zuletzt, daß wir ihn aufspüren würden, um ihn in sein Bett zurückzuschaffen, als wäre nichts geschehen. Als ich dann begriff, daß nichts mehr zu machen war, beschloß ich, die Wahrheit zu verheimlichen. Ich fälschte die Kartei, ich ließ Menzels Sachen verschwinden, und ich schüchterte das Personal durch Drohungen ein, damit die Leute schwiegen. Das war kindisch, ich weiß, aber andernfalls wäre meine ganze Existenz vernichtet worden.«
    Doktor Steiner hält kurz inne und fügt dann hinzu: »Was jetzt doch der Fall ist...«
    Nachdem Doktor Steiner zu sechs Monaten Gefängnis mit Bewährung sowie einer hohen Schadensersatzzahlung verurteilt worden war, verkaufte er seine Klinik. Sie hat jetzt einen neuen Besitzer und zieht nach wie vor begüterte Patienten an, und wenn man die prachtvollen Linden im angrenzenden Park betrachtet, kann man sich kaum vorstellen, welches Drama sich hier einst in einer Mainacht zugetragen hat.
     

T ANZ MIT EINER T OTEN
     
    5. Juni 1976. Im Festsaal einer großen französischen Provinzstadt findet wie an allen anderen Samstagen ein Ball statt. Ein hundsgewöhnlicher Ball, wie er zum selben Zeitpunkt in Dutzenden von kleineren und größeren Gemeinden in Frankreich stattfindet und bei dem die gesamte Jugend der Gegend sich ein Stelldichein zu geben pflegt. Gérard Davout und Michel Girod sind beide achtzehn Jahre alt. Sie sahen aus wie die meisten jungen Burschen ihres Alters. Gérard Davout lernt Elektriker, und Michel Girod arbeitet als Mechaniker in einer Garage. Beide tragen Jeans und einen Blouson und haben sich verschwenderisch mit Rasierwasser eingesprüht.
    Sie bahnen sich einen Weg durch die Menge der tanzenden Paare, die sich zu den Klängen eines eher mittelmäßigen Orchesters bewegen. Aber sie interessieren sich nicht für die Qualität der musikalischen Darbietung, und die eher trostlose Dekoration des Festsaales ist ihnen ebenfalls gleichgültig. Wie die anderen jungen Männer sind sie hier, um zu flirten und ein Mädchen aufzureißen. Gérard Davout stößt seinen Kameraden mit dem Ellbogen an: »He, sieh dir mal die da drüben an!«
    Michel Girod blickt in die angegebene Richtung.
    »Also wirklich nicht«, meint er dann, »die finde ich ziemlich seltsam. Irgendwie macht sie mir sogar Angst.«
    Und während Michel auf dem Absatz kehrtmacht, nähert sich Gérard dem Mädchen. Sie hat tatsächlich etwas Seltsames an sich. Außerdem sitzt sie ganz allein da. Die Stühle neben ihr sind alle unbesetzt, als ob niemand es wagt, ihr zu nahe zu kommen. Ab und zu bewegt sich ein Junge in ihre Richtung, doch zieht er sich meist schnell wieder zurück.
    Wie alt mag sie sein? Höchstens achtzehn oder zwanzig, auf keinen Fall älter. Sie ist dunkelhaarig und hat braune Augen, und die Schwärze ihrer Haare bildet einen interessanten Kontrast zur Blässe ihres Teints. Sie ist jedoch nicht nur blaß, sondern geradezu unnatürlich weiß im Gesicht. Selbst aus ihren Lippen scheint jede Farbe gewichen zu sein. Davon abgesehen ist sie schön gewachsen und trägt ein rotes Kleid, das ihr hervorragend steht. Um den Hals hat sie ein kleines, ebenfalls rotes Tuch geschlungen.
    Gérard Davout baut sich vor ihr auf, doch sie scheint ihn nicht zu sehen. Mit ausdrucksloser Miene fixiert sie einen entfernten Punkt im Saal.
    Gérard beginnt die Unterhaltung auf seine übliche Art: »Es ist seltsam, aber ich habe das Gefühl, daß wir uns schon einmal begegnet sind...«
    Das junge Mädchen fährt zusammen. Sie dreht sich zu ihm um und mustert ihn aufmerksam.
    »Wir sind uns schon begegnet? Sind Sie sicher? Wissen Sie noch, wann?«
    Gérard gerät ein wenig in Verlegenheit. Für

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