Nächte des Schreckens
gewöhnlich ruft dieser wenig originelle Annäherungsversuch keine derartige Reaktion hervor.
Er stammelt daher: »Ich weiß nicht... ich erinnere mich nicht mehr genau...«
Das junge Mädchen mustert ihn eingehend.
»War es hier?«
»Ja, ich glaube.«
»Ist es lange her?«
»Nein, nicht sehr lange...«
Das Mädchen erhebt sich.
»Lassen Sie uns tanzen!«
Gérard ist durch dieses seltsame Benehmen gleichzeitig verwirrt und entzückt. Noch nie sind die Dinge so schnell gegangen. Beim Tanzen unterhält sich seine Partnerin weiterhin mit ihm, und was sie sagt, ist genauso eigenartig wie alles andere.
»Ich heiße Monique Dupré. Können Sie sich noch immer nicht erinnern?«
Diese abrupte Art der Fragestellung bringt Gérard ein wenig aus der Fassung, doch er will sich seine Chancen nicht verderben.
»Nein, im Moment nicht. Aber Monique ist ein sehr hübscher Name. Ich heiße übrigens Gérard.«
Monique fährt fort, als habe sie ihm gar nicht zugehört: »Sie erinnern sich wirklich nicht? Lesen Sie keine Zeitung?«
»Hat man etwa über Sie in der Zeitung berichtet?« erkundigt er sich. »Was machen Sie denn beruflich?«
»Nichts, ich ruhe mich aus...«
Konsterniert starrt er sein Gegenüber an. Sie betrachtet ihn ihrerseits mit geradezu inquisitorischem Blick.
»War es nicht der 1. Mai 1974, als wir uns das letzte Mal gesehen haben?« will sie jetzt wissen.
Der junge Mann hat plötzlich das Gefühl, als befinde er sich vor einem Tribunal. Ganz offensichtlich hat er es mit einer Person zu tun, die nicht vollkommen normal ist. Andererseits will er seine neue Eroberung keineswegs aufs Spiel setzen.
»Das ist schon möglich«, erwidert er daher. »Aber wissen Sie, an Daten kann ich mich nie erinnern...«
Auch im weiteren Verlauf des Abends ändert sich nichts an Monique Duprés seltsamem Verhalten. Von Zeit zu Zeit läßt sie Gérard einfach stehen und tanzt mit dem erstbesten Burschen, der daherkommt. Dann entledigt sie sich ohne ein Wort der Erklärung auch dieses neuen Kandidaten und kehrt zu Gérard zurück.
Auch diesen anderen pflegt sie seltsame Fragen zu stellen, als wolle sie etwas ganz Bestimmtes herausfinden. Und immer wieder kommt sie auf jenen 1. Mai des Jahres 1974 zu sprechen. Nach einer Weile gesellt sich Michel Girod wieder zu seinem Kameraden. Er langweilt sich auf dem Ball, und er möchte gehen. Da er Gérard auf seinem Motorrad mitgenommen hatte, bleibt diesem jetzt nichts anderes übrig, als ebenfalls zu gehen. Frustriert verabschiedet er sich von Monique, doch das junge Mädchen sieht ihn nicht einmal an.
In nüchternem Ton sagt sie zu ihm lediglich: »Sie sind es jedenfalls nicht gewesen!«
Gérard gibt trotzdem nicht auf und fragt sie nach ihrer Adresse.
Unwillig erwidert sie: »Rue Gambetta Nummer 2...«
Eine Viertelstunde später fahren Gérard und Michel auf ihrem Motorrad die Rue Gambetta entlang. Gérard hatte unbedingt sehen wollen, wo Monique wohnt, und Michel hatte schließlich nachgegeben.
Das Motorrad hält vor der Nummer 2 an. Die beiden jungen Männer steigen ab, nähern sich ein paar Schritte und bleiben dann schweigend stehen.
Michel bricht in Gelächter aus: »Na, wenn sie sich über dich lustig machen wollte, dann ist ihr das bestens gelungen! Sie hat dir den Friedhof als Adresse angegeben! Komm schon, mach nicht so ein Gesicht! Das ist wirklich zum Lachen!«
Doch Gérard lacht nicht. Dies ist tatsächlich die Adresse des Friedhofs, und wenn seine Gesichtszüge jetzt eher verschlossen wirken, so nicht etwa aus gekränkter Eitelkeit, sondern weil ihn ein schwer erklärbares Unbehagen beschleicht. Als er zu Hause angekommen ist, kann er nicht sofort schlafen gehen. Dieses seltsame Erlebnis hat ihn zu sehr aufgewühlt. Weshalb hat ihn Monique zum Friedhof geschickt? Weshalb hat sie ihn einer Art Verhör unterzogen? Und weshalb hat sie immer wieder von diesem Datum gesprochen, vom 1. Mai 1974? Plötzlich kommt ihm eine Idee. Leise, um seine Eltern nicht zu wecken, klettert er auf den Dachboden. Monique hatte auch von einer Zeitung gesprochen, und hier oben bewahrt sein Vater alle Jahrgänge der Tageszeitung auf, die er zu lesen pflegt.
Gérard räumt rasch ein paar verstaubte Gegenstände beiseite und stößt schließlich auf das, was er gesucht hat. Im Schein seiner Taschenlampe blättert er die Zeitungsbände durch. Als er beim Mai 1974 angelangt ist, schreit er leise auf.
In der Ausgabe des 2. Mai blickt ihn Moniques Photo auf der ersten Seite an. Das ist
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