Nächte des Schreckens
Kirchentreppe hinabschreitet. Diese liederliche Person will sie anscheinend auch noch provozieren: Ihre ältere Tochter, die schließlich ein Kind der Sünde ist, trägt doch tatsächlich die Schleppe ihres Brautkleids! Wie hat der Herr Pfarrer etwas Derartiges nur dulden können?
Jedenfalls ist die Meinung zu dieser so unpassenden Verbindung einhellig: Henri Rouffier rennt in sein Unglück. Rolande wird ihn nach Strich und Faden betrügen, und eines Tages wird ihm nichts anderes übrigbleiben, als sie zu verlassen. Sofern diese Ehe nicht ein noch tragischeres Ende nimmt...
In diesem Jahr 1945 steht die Schankwirtschaft von Marlieu zum Verkauf. Ein Lokal zu besitzen ist Rolandes Traum seit ihrer Kindheit. Für sie ist dies gewissermaßen der Höhepunkt des gesellschaftlichen Aufstiegs.
Nun, Henri hat von seinen Eltern einiges Geld bekommen. Mit dieser Summe sollte sich das junge Ehepaar ein Zuhause schaffen, doch Rolande fegt den Einwand beiseite, zumal zu dem Lokal auch eine Wohnung gehört.
Wie hätte der frischgebackene Ehemann seiner Rolande auch nur irgend etwas abschlagen können? Und so wandern die Ersparnisse der Rouffiers in den Erwerb des Lokals. Rolande hat sich damit ihren Lebenstraum erfüllt: Sie ist die Chefin einer Gastwirtschaft geworden.
Rein kaufmännisch betrachtet, muß man zugeben, daß die Geschäfte gut laufen. Rolande thront selbst hinter der Kasse und bedient die Kundschaft bis spät in die Nacht. Sie macht ihre Sache hervorragend: Ihre gute Laune, ihre Fröhlichkeit und ihr Charme ziehen eine zahlreiche und natürlich ausschließlich männliche Kundschaft an. Nach einigen Monaten sind ihre Umsätze wirklich beachtlich. Henri arbeitet weiterhin auf dem Bürgermeisteramt. Er mag die Kneipenatmosphäre nicht, das laute Gelächter, die erregten Diskussionen zwischen angeheiterten Gästen, die lockeren Scherze gegenüber seiner Frau. Doch er ist fest entschlossen, nichts zu sagen und vor all dem möglichst die Augen zu verschließen. Nur so kann er Rolande behalten. Hinter seinem Rücken wird allerlei getuschelt. Je nach Erziehung nennt man ihn entweder grob den >Hahnrei< oder etwas feiner >den unglücklichen Jungen<. Auf jeden Fall ist man sicher, daß Rolande ihn betrügt. Außerdem trinkt sie oft mit den Gästen. An manchen Abenden, so munkeln die braven Dorfbewohner, finden dort wahre Orgien statt, während der Ehemann oben im ersten Stock schon schläft... Im November 1945 ändert sich die Situation. Rolandes Bruder Gilbert kehrt aus dem Krieg zurück. Er ist genau das Gegenteil seiner Schwester: Er ist strebsam, pflichtbewußt und tapfer. Von Beginn an hat er der Widerstandsbewegung angehört und bis zum Ende des Krieges in der Armee von General Ledere gedient. Als er jetzt heimkehrt, bereitet ihm das ganze Dorf einen festlichen Empfang. Gilbert Lacroix wird fürs erste bei seiner Schwester und seinem Schwager untergebracht, wo er in der Wohnung oberhalb des Lokals ein Zimmer bezieht.
Gilbert ist ein Mann mit Prinzipien. Rasch bemerkt er, welchen Lebenswandel seine Schwester führt, und er ist nicht bereit, dies zu dulden.
Ein paar Tage nach seiner Ankunft sagt er zu ihr: »Rolande, ich schäme mich für dich!«
Schulterzuckend erwidert sie: »Weshalb? Ist es etwa anstößig, ein Lokal zu betreiben?«
»Darum geht es nicht, und das weißt du genau. Aber ich habe gehört, was man sich im Dorf über dein Lokal erzählt, und ich schäme mich, weil es wahr ist!«
Jemand wie Rolande ist jedoch nicht willens, sich Moralpredigten anzuhören.
»Ja, und? Wenn du dir nicht anhören willst, was die Leute sagen, brauchst du nur zu gehen!«
Gilbert beharrt nicht. Er hat bei seiner Schwester noch nie die Oberhand gewonnen und versucht es daher bei seinem Schwager.
»Du darfst dir das nicht länger von Rolande gefallen lassen, Henri! Du mußt jetzt etwas unternehmen! Sonst wird das bei ihr zur Gewohnheit, und dann tanzt sie dir nur noch auf der Nase herum.«
Henri Rouffier stößt einen resignierten Seufzer aus.
»Ich weiß, daß ich durch Rolande leiden werde. Ich weiß auch, daß sie mich betrügt. Aber ich wage nicht, ihr etwas zu sagen, weil ich sie liebe und weil ich Angst habe, sie zu verlieren. Was soll ich also tun?«
Er kann in der Tat nicht viel dagegen unternehmen. Gilbert bleibt bei den Rouffiers wohnen, doch seitdem er seiner Schwester Vorhaltungen gemacht hat, ist das Verhältnis zwischen den beiden sehr gespannt. Rolande treibt sich in aller Öffentlichkeit mit anderen
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