Nächte des Schreckens
beschließt er, statt dessen den alten Ferdinand aufzusuchen, von dem die Leute ihm mehrmals erzählt hatten.
Der sogenannte Zauberer begreift sofort, daß er gut daran tut, dem Polizisten alles zu sagen.
»Was Rolande von mir wollte? Einen Liebestrank wollte sie, um die Leidenschaft irgendeines Mannes zu entfachen. Aber sie hat mir nicht gesagt, wer der Mann ist.«
»Und haben Sie ihr einen solchen Trank gegeben?«
»Ja.«
»Woraus bestand er?«
Mit gesenktem Kopf erwidert der alte Ferdinand: »Ich bin kein Zauberer, Herr Kommissar. Die Leute hier im Dorf bilden sich das nur ein, und ich lasse sie in dem Glauben, um mir ein bißchen zusätzliches Geld zu verdienen. Meine Zaubertränke bestehen nur aus Wasser mit etwas Fischblut darin.«
Der Fischhändler zittert jetzt leicht.
»Mein Trank hat niemanden umgebracht, das schwöre ich Ihnen! Außerdem mußte Rolande ihn selbst trinken. Ich habe ihr gesagt, daß ihr dann kein Mann widerstehen könne.«
Kommissar Lourière beendet das Verhör. Er ist sich so gut wie sicher, daß der Mann kein Mörder ist. Er wird ihn lediglich wegen der unerlaubten Herstellung von Arzneimitteln belangen.
Und dann beginnt der letzte Teil seiner Ermittlungsarbeit. Er lädt Rolande Rouffier in sein Büro vor, die noch immer vollkommen erschüttert ist.
»Am Abend, bevor man Ihren Mann tot aufgefunden hat, brachten Sie ihm einen Kaffee in sein Zimmer.«
»Ja.«
»Wie kommt es, daß wir am nächsten Morgen keine Tasse auf seinem Nachttisch gefunden haben?«
Rolande beantwortet die Frage so gleichgültig, als sei dieses Detail ohne jede Bedeutung.
»Beim Aufstehen habe ich die Tasse mit nach unten genommen, um sie abzuwaschen. Die Tassen werden alle für die Gäste gebraucht.«
»Und haben Sie Ihrem Bruder auch etwas zu trinken gebracht?«
»Nein, warum?«
»Woran ist er dann gestorben?«
Mit einer hilflosen Geste schüttelt Rolande den Kopf.
»Ich weiß es nicht...«
Trotz aller Bemühung gelingt es dem Kommissar nicht, die Tatverdächtige zu einem Geständnis zu bewegen. Aber alles paßt hier zusammen: die Tasse Kaffee, die sie ihrem Mann gebracht und am anderen Morgen sorgfältig abgewaschen hat, und das Motiv. Nachdem Henri ihr das Lokal gekauft hatte, wollte sie sich seiner entledigen und ihn beerben. Was ihren Bruder betraf, so war dieser für sie ein lästiger Zeuge geworden.
6. Februar 1947. Vor dem Gericht von Arras wird der Prozeß gegen Rolande Rouffier eröffnet, die des Doppelmordes an ihrem Ehemann und ihrem Bruder beschuldigt wird. Der Vorsitzende will mit der Befragung der Angeklagten beginnen, doch Rolande kommt nicht einmal dazu, ihren Namen und ihre Adresse anzugeben.
»Die Todesstrafe für sie!« ertönt ein Schrei aus dem Publikum und überdeckt Rolandes Stimme.
Erst als der Vorsitzende damit droht, den Saal räumen zu lassen, kehrt wieder Ruhe ein.
Rolande Rouffier ist nicht mehr die lebenssprühende junge Frau, die sie einst war. Sie ist abgemagert, und unter ihren Augen liegen tiefe Schatten. Zusammengesunken sitzt sie auf der Anklagebank. Nachdem sie die üblichen Angaben zur Person gemacht hat, fügt sie hinzu: »Ich bin unschuldig. Ich habe weder meinen Mann noch meinen Bruder getötet.« Aber sie äußert diese Worte, die sie der Polizei gegenüber monatelang wiederholt hat, ohne große Überzeugungskraft, so als wüßte sie genau, daß man ihr nicht glauben wird, und fast scheint es, daß sie selbst nicht mehr daran glaubt.
Dann treten die Bewohner von Marlieu der Reihe nach als Zeugen auf. Die Geschworenen sind über den Lebenswandel der Angeklagten rasch im Bilde. Sie ist schon mit vierzehn Jahren den Jungen hinterhergelaufen. Sie ist eine Trinkerin und hat häufig an den Zechgelagen ihrer Gäste teilgenommen. Und sie ist gewalttätig: Eines Tages hat sie ihrem unglückseligen Ehemann vor Zeugen eine Weinflasche über den Kopf geschlagen.
Rolande Rouffier senkt den Kopf, und auch ihr Verteidiger schweigt. Man kann darauf auch nicht viel erwidern, denn all diese Aussagen entsprechen der Wahrheit.
Als nächster tritt der Gerichtsmediziner in den Zeugenstand. Er wiederholt, was er schon in seinem Obduktionsbericht angegeben hat. Demnach wurden die beiden Opfer durch eine geheimnisvolle Substanz getötet.
»In Anbetracht der organischen Schäden kann der Tod nur durch ein stark ätzendes Gift hervorgerufen worden sein...«
Der Staatsanwalt fordert die Todesstrafe, doch der Verteidiger weist auf den Mangel an Beweisen hin, und Rolande
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