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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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kurz vor dem Punkt, an dem sie aufgehört hatte.
    »Ausgebrütet«, sagte sie.

II
    »Ausgebrütet. Von wem, weiß ich nicht. Wer mich gelegt hat, das ist mir ebenso ein Geheimnis, Sir, wie der Vorgang meiner Zeugung, Vater und Mutter sind mir beide vollkommen unbekannt - und mancher würde sagen: darüber hinaus der Natur unbekannt. Aber aus dem Ei bin ich geschlüpft und lag in dem Korb mit den Schalen und dem Stroh in Whitechapel an der Tür eines gewissen Hauses, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Als sie nach ihrem Glas griff, fiel der schmutzige Satinärmel zurück von einem Arm, ebenso makellos geformt wie das gedrechselte Bein des Sofas, auf dem Walser saß. Ihre Hand zitterte leicht, als unterdrücke sie eine starke Bewegung.
    »Und, wie gesagt, wer war’s: meine Lizzie hier, die über das quäkende Fetzchen Leben gestolpert ist, das ich damals war, gerade als sie einem Kunden aus dem Etablissement hinausgeholfen hat, und sie holt mich rein, und da bin ich von diesen lieben Frauen aufgezogen worden wie die Tochter von einem halben Dutzend Müttern. Und das ist die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, Sir.
    Und noch nie hab ich’s irgendeinem Mann auf der Welt erzählt.«
    Walser kritzelte rasch, und Fevvers starrte im Spiegel in sein Notizbuch, als versuche sie sein Stenogramm mit irgendwelchen magischen Mitteln zu entziffern. Sein Schweigen schien sie in ihrer Sicherheit ein wenig zu irritieren.
    »Was denn nun, Sir, läßt man Sie das in der Zeitung drucken? Das waren Frauen aus schlimmsten Verhältnissen, verdorbene Frauen.«
    »Die Sitten in der Neuen Welt sind weitaus weniger streng, wie Sie selbst bald mit Genugtuung feststellen werden, Ma’am«, sagte Walser gelassen. »Und ich habe schon ein paar höchst anständige Huren kennengelernt, ein paar verdammt bemerkenswerte Frauen, die in die Ehe zu führen jeder Mann nur hätte stolz sein können.«
    »Ehe? Pah!« schnaubte Lizzie ärgerlich. »Vom Regen in die Traufe! Was ist denn die Ehe, wenn nicht Prostitution mit einem Mann anstatt mit vielen? Kein Unterschied! Glauben Sie vielleicht, eine anständige Hure wäre stolz darauf, Sie zu heiraten, junger Mann? Was?«
    »Laß nur, Lizzie, er meint’s ja gut. Sag mal, ist der Junge noch da? Ich bin völlig ausgehungert, würde meine goldene Haarbürste für Räucheraal und Würstchen geben.« Sie wandte sich mit ausladender Koketterie an Walser. »Könnte Sie Aalpastete und Kartoffelbrei reizen, Sir?«
    Man klingelte nach dem Laufjungen, der tatsächlich noch seine Pflichten versah und sofort zu einer Pastetenbude im Strand geschickt wurde - von einer Lizzie, die immer noch grimmig-verstimmt dreinsah. Bald jedoch war sie durch die üppige Mahlzeit besänftigt, die zehn Minuten später in einem zugedeckten Korb ankam: heiße Fleischpasteten mit je einem Löffel dicker Aalsoße, ein Fujiyama aus Kartoffelbrei, ein Sumpf aufgekochter Trockenerbsen, die in grüner Flüssigkeit schwammen. Fevvers bezahlte den Laufjungen, wartete auf ihr Wechselgeld und gab ihm als Trinkgeld einen Kuß auf die bartlos-glatte Wange, die nun errötet und ein wenig fettig war. Die Frauen begannen ihr Mahl mit großem Geklapper des mitgemieteten Bestecks, aber Walser entschied sich für ein weiteres Glas des flauen Champagners.
    »Englisches Essen... also, ich glaube, es ist alles Gewohnheitssache. Ich halte Ihre einheimische Küche für das achte Weltwunder, Ma’am.«
    Sie warf ihm einen seltsamen Blick zu, als hätte sie ihn im Verdacht, sich mit ihr einen Scherz zu erlauben, und als würde sie ihm das früher oder später heimzahlen. Aber ihr Mund war zu voll für eine Antwort, als sie sich mit gargantueskem Enthusiasmus auf dieses deftigste, schwerste Fuhrknechtsessen warf. Sie schlang, sie stopfte sich voll, sie bekleckerte sich mit Soße, sie lutschte Erbsen von ihrem Messer - sie hatte einen Magen, der ihrer Größe entsprach, und Tischmanieren wie zu Shakespeares Zeiten. Beeindruckt wartete Walser mit der störrischen Folgsamkeit seines Berufes, bis schließlich ihr enormer Appetit befriedigt war: Sie wischte sich den Mund am Ärmel ab und rülpste. Wieder sah sie ihn seltsam an, als hoffte sie halb, das Schauspiel ihrer Freßgier würde ihn vertreiben, aber da er nun blieb - Notizbuch auf dem Knie, Bleistift in der Hand, immer noch auf ihrem Sofa sitzend -, seufzte sie, rülpste nochmals und fuhr fort.
    »In einem Bordell, Sir, und stolz darauf, was das betrifft, denn niemals hab ich ein böses Wort oder eine

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