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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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auf, seine Neuanschaffung zu bewundern, als hätte er nicht erwartet, daß sie Widerworte gibt. Etwas bedrückt murmelt er: ›Durch diese Tür, die Treppe hinauf, erste Tür rechts auf dem Absatz‹, und wendet sich wieder seinem Buch zu, das - wie ich im Vorbeigehen sehe - in lateinischer Sprache geschrieben ist und sich nennt: Mysterium Baphometis Revelatum.
    Was für ein Badezimmer, lieber Gott, so etwas von ›Ich lebt’ in Marmorhallen‹! Und zolldicke Handtücher! Und Mengen von heißem Wasser dampften aus den Hähnen hervor! Das ist das wahre Leben, dachte ich, und goß eine halbe Flasche Limonenessenz in die Wanne, bevor ich mich in das aromatisch duftende Bad sinken ließ.
    Aber vorher hängte ich als erstes meinen Unterrock vor das Schlüsselloch, damit Mr. Rosencreutz nicht einen heimlichen Blick riskieren konnte.
    Nun, Sir, vielleicht fragen Sie sich, wie das mit meinen Flügeln ist, wenn ich ein Bad nehme? Wie bei allem Federvieh ist mein Gefieder wasserabstoßend, aber ganz so wie bei einer Ente, von deren Rücken das Wasser sprichwörtlich herunterrollt, ist es leider bei mir nicht bestellt. Am besten nicht die Flügel durchnässen, oder es zieht mich nach unten. Ich kämme sie ein bißchen mit den Fingerspitzen, so weit ich reichen kann, und spritze sie noch ein wenig ab, und schüttele mich kräftig, und dann bin ich so gut wie neu. Also hab ich achtgegeben, daß meine Schwingen aus der Badewanne draußenblieben, aber meinen Rest hab ich ganz normal gewaschen, und mit seiner Zitronenseife und allem ging’s mir ausgezeichnet.
    Als ich mich mit dem Badetuch frottierte, hörte ich - hatte ich es nicht gewußt? - ein Rascheln und Kratzen an der Tür, und ich sage scharf: ›Das reicht jetzt! Und überhaupt komme ich erst aus diesem Badezimmer raus, wenn Sie mir etwas Anständiges zum Anziehen bringen!‹
    ›Nun, ich kann dir versichern‹, sagte Mr. Rosencreutz, ›es würde dir schlimm ergehen, Azrael, wenn du nach deinen Waschungen in denselben Fetzen wieder hervorkämst, in denen du hineingegangen bist, deshalb schlage ich ein kleines Rätsel vor. Magst du Rätsel, Azrael?‹
    Ich sagte nichts.
    ›Wenn du mir dies Rätsel löst, gebe ich dir eine Prämie von hundert Pfund zusätzlich zu dem, was ich bereits schulde, und ohne daß es etwas mit Madame Schreck zu tun hat.‹
    ›Rätseln Sie los‹, sag ich sofort, und er gackert entzückt vor sich hin.
    ›Schöne Frau, die du weder das eine noch das andere bist, nicht Fleisch und nicht Fisch und doch wie ein Fisch im Wasser - hihi! hihihi! -, um das Ritual durchzuführen, für das ich dich engagiert habe, mußt du weder nackt noch bekleidet aus dem Wasser hervorkommen.‹
    Er keucht und kichert hinter der Tür, entzückt von seiner eigenen Schläue.
    ›Und ich laß dich erst dann aus dem Bad heraus, wenn du es rätst!‹ fügt er hinzu. Dann dringt als einziges Geräusch sein schweres Atmen durch das Schlüsselloch.
    Der Gedanke an diese hundert Pfund half meiner Konzentration sehr nachdrücklich, und ich setzte mich auf den Rand der Badewanne, bis ich die Rätselfrage gelöst hatte. Wie Sie sehen können, Sir, hat mir die Natur sehr langes und dichtes Haar geschenkt. Also hab ich es gelöst, gekämmt und mich damit in derselben Weise bedeckt, wie Lady Godiva sich flüchtig, doch züchtig auf ihrem berühmten Ritt durch Coventry eingehüllt hat. Ich hatte mehr als genug Haar, um mich darin zu bergen, gottseidank, aber wie nun das Ganze sichern? Ich flocht eine einzige Haarsträhne zu einem Zopf und schnitt sie mir mit Nelsons kleinem Schwert ab, das ich, wie stets, in meinem Mieder bei mir hatte. Und mit diesem Zopf gürtete ich meine Hüften, daß alles sicher war, und vergaß dabei nicht, darunter meinen vergoldeten Talisman zu befestigen, direkt auf der Haut, das können Sie mir glauben.
    ›AIles klar!‹ rief ich und schloß die Tür auf - und in einer Wolke zitronenduftenden Dampfes stehe ich plötzlich vor ihm, und er schluckt und gackert vor sich hin, halb erfreut, halb vielleicht enttäuscht, denn wer weiß, was er sich ausgedacht hat für den Fall, daß ich nicht die richtige Lösung finde.
    Erfreulicherweise ist im Zimmer unten während meines Bades ein sehr substantielles Essen aufgetragen worden - Salat, Käse, ein kaltes Hähnchen. Und ich bin so ausgehungert, daß ich an einem Bein davon knabbere, obwohl ich sonst, wenn ich die Wahl habe, kein Huhn und keine Ente anrühre, kein Perlhühnchen, nichts, denn ich will nicht die

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