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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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als die Hüterin, wissen Sie? Und wenn irgendeiner irgendwas probieren will, was im Tarif nicht enthalten ist, dann kann ich ihm gleich eins über die Knöchel geben. Dornröschen seufzte und murmelte und nahm all die Zeit nichts wahr, aber ich beobachtete die kläglich zitternde Figur, die sich die Möglichkeit gemietet hatte, unsere Bilder zu benutzen, die sich heranschlich wie zur Guillotine, und ich dachte mir mit Hamlet: ›Welch ein Meisterwerk ist der Mensch!‹
    Im Lauf der Zeit fing einer der Herrn an, mit wundersamer Regelmäßigkeit wöchentlich zu kommen, immer am Sonntag. Er legte immer ein höchst sonderbares Kostüm an, wenn er sich nach drunten wagte, eine Art samtnen Rock, der bis über die Knie hinab reichte, pflaumenfarben und mit grauem Pelzwerk abgesetzt, und an den Füßen glänzendrote Lederstiefel mit kleinen Glöckchen an den Knöcheln, die mit süßem Klang ertönten, wenn er daherschritt. Um den Hals hing ihm an goldener Kette ein massivgoldenes Medaillon von seltsamer Arbeit, das ich Madame Schreck oft neidvoll beäugen sah.
    Auf diesem Medaillon war, wenn Sie die Formulierung gestatten, Sir, ein Glied eingraviert, eins von der männlichen Sorte, ein Phallus also, in einem Zustand, den man in der Heraldik als steigend bezeichnet, und an den Eiern waren kleine Flügel angesetzt, auf die ich gleich aufmerksam wurde. Um den Schaft dieses virilen Gliedes schlang sich der Stiel einer Rose, deren Blüte ein wenig neckisch an jenen Punkt geschmiegt war, wo sich die Vorhaut zurückspannt. Ob das Ding antik oder neu war, konnte ich nicht erkennen, aber es stellte sicher eine wertvolle Investition dar.
    Der sich mit diesem eigenartigen Schmuckstück zeigte, war am Ende seiner mittleren Jahre angelangt, lang, mager, etwas gebeugt, mit einer Haut, die ein wenig ins Rötlich-Violette, Fleckige ging, als litte er unter der Kälte, aber mit schönen, schmalen Zügen, einer hohen, gekrümmten Nase und peinlich sauber rasierten Wangen. Und mit einem Paar umherwandernder, wäßriger blauer Augen, Augen eines Mannes, der unglücklich über seine Welt ist. Um seine Kleidung zu vervollständigen, trug er stets einen großen runden Biberhut, wie eine Trommel, den Rand jedoch ringsherum aufgeschlagen, und darunter war kein Haar zu sehen. Als Madame Schreck das erste Mal den Vorhang vor mir beiseite zieht, fährt er richtig zusammen und ruft aus: ›Azrael!‹ Danach kommt er nur noch, um mich zu sehen. Mit dem Dornröschen hatte er nichts vor, sondern läßt mich allein nach oben kurbeln und geht dann um mich herum, winselt vor sich hin, spielt unter seinem Röckchen mit sich selbst, und Fanny, um mich zu necken, nennt ihn meinen treuen Verehrer.
    Sechs Sonntage kommt er, um vor meinem Altar anzubeten, aber am siebten schickt Madame Schreck, gerade als wir Mädels uns zum Essen niedersetzen, Toussaint mit einer Nachricht: Ich soll zu ihr kommen.
    Unser Essen war in diesem morbiden Mausoleum immer eine trostlose Sache. Die süffelnde Alte in der Küche hätte sogar ein weiches Ei anbrennen lassen, wenn sie einmal ein Glas intus hatte, so daß Fanny sich immer selbst um die Invalidenkost für das Dornröschen kümmerte; ich erinnere mich an diesen Sonntag ganz besonders, weil die Köchin sich am Samstagabend bereits betrunken hatte und Fanny Toussaint fortgeschickt hatte, um etwas Schweinefleisch auf Kredit zu holen. So lief nun Fanny am Herd hin und her und brachte ein anständiges Stück Fleisch mit schöner brauner Kruste und einem Schlag Apfelsauce für uns auf den Tisch, und gerade als wir zulangen, werde ich in Miladys Schlafzimmer zitiert, und dann war’s das letzte Sonntagsdinner, das ich in dem Haus gegessen habe.
    ›Einer der Herren hat ein Angebot gemacht‹, sagt Madame Schreck. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch mit dem Rücken zu mir, und nur ein Gaszylinder über ihr, zischend wie eine Schlange, gibt etwas Licht.
    ›Welcher Herr und wieviel?‹ frag ich, sogleich mißtrauisch.
    ›Er gibt seinen Namen mit Christian Rosencreutz an und ist äußerst großzügig.‹
    ›Wie großzügig ist äußerst großzügig?‹
    ›Fünfzig Guineen für dich, abzüglich der Vermittlungsgebühr‹ sagt sie über die Schulter und kritzelt die ganze Zeit weiter in ihrem verdammten Hauptbuch, und plötzlich verlor ich die Geduld mit ihr.
    ›Was, fünfzig miese Guineen für die einzige gefiederte virgo intacta der gesamten Weltgeschichte? Sie wollen eine Kupplerin sein?‹
    Ich schnapp sie mir an der Schulter und heb

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