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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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nachgegeben, das sie nun überall umfloß und umschwang, und sie schaute erhitzt und gerötet drein, was ihr ein wildes, mänadisches Aussehen verlieh. Walser fühlte sich in der Hitze ihrer vollen Aufmerksamkeit zusammenschrumpfen.
    »Sie sehen ganz erledigt aus, Sir«, sagte Lizzie mit unerwarteter Fürsorge. Und Walser fühlte sich tatsächlich wie kurz vor dem Zusammenbruch. Die Hand, die dem Diktat der Frauen gehorsam wie ein Hündchen über das Papier folgte, schien nicht länger ihm zu gehören. Sie baumelte schlaff von ihrem Gelenk. Trotzdem:
    »Nein, nein«, log er. »Alles in Ordnung.«
    »Sie müssen den Namen dieses Gentleman erfahren!« sagte Fevvers nachdrücklich und ergriff sein Notizbuch, um ihn niederzuschreiben. Sie hatte eine schöne, feste, fließende Kursivschrift. Als er es las -
    »Meine Güte«, sagte Walser.
    »Ich hab erst gestern in der Zeitung gelesen, daß er im Parlament eine äußerst eindrucksvolle Rede über das Frauenstimmrecht gehalten hat. Wo er dagegen ist. Weil Frauen eine von den Männern verschiedene seelische Substanz besitzen, geistig anders beschaffen sind, insgesamt und überhaupt zu rein und rar und kostbar sind, um ihre hübschen kleinen Köpfchen mit den Angelegenheiten der Welt zu belasten, wie der irischen Frage und dem Burenkrieg.
    Im Verlauf unserer endlosen, wenn auch einseitigen Unterhaltung eröffnet er mir, wie sehr ihn der Gedanke des Alterns ängstigt. Und wem ginge es nicht so! Wer fürchtet nicht das unerbittliche Kreisen des himmlischen Rades, von dem abzustürzen wir alle verurteilt sind, eines Tages. Und nach vielem Geräusper und Hin und Her und mystischem Drumherum läßt er endlich die Katze aus dem Sack: daß Artephius der Weise einen kabbalistischen Magneten erfunden hat, der insgeheim aus den Leibern junger Frauen ihr geheimnisvolles Fluidum der Jugendblüte, der Effloreszenz heraussog -›Effloreszenz, Flora›, sagt er mit bedeutungsvoller Betonung. Indem er sich mit seinen magischen Künsten ein Konzentrat dieser Fluida einverleibte und sich so ständig verjüngte, herrschte das ganze Jahr hindurch Frühling für Artephius, und so, hofft Mr. Rosencreutz, soll es auch mit ihm geschehen.
    Darüber hinaus, gibt Mr. Rosencreutz zu bedenken, hat nicht König David selbst, als das Alter herankam, Abisag von Sunem in seinen Armen schlafen lassen, und so ›wurde ihm warm‹, und er lebte noch zwei-, dreihundert Jahre länger und wurde einer von den neun guten Helden? Er verbreitete sich auch über einen gewissen Signor Guardi, dem Mr. Rosencreutz selbst in Venedig begegnet war, und darüber, wie dieser Signor Guardi ihm ein Porträt seiner selbst zeigte, das ihn als jungen Mann darstellte, gemalt von Tizian. Was bewies, daß dieser Signor Guardi glatt dreihundert Jahre oder so alt war, und er hatte Mr. Rosencreutz erzählt, wie er sich von dreizehn jungen Mädchen aus den Apenninen am ganzen Leibe hat einreiben lassen, wobei das Massageöl ein Destillat aus Frühlingsblumen war und aus chemischen Extrakten, nur ihm selbst bekannt. Doch es glitt ein sehr verschlagen-verstohlener Ausdruck über Mr. Rosencreutz’ Gesicht, als er von Signor Guardis Rezept redete, und ich dachte: Hier behält er etwas für sich.
    Etwas aber eröffnet er mir: Seit er sich zuerst in den esoterischen Gesetzen und den magischen Künsten geschult hat, weiß er von meiner Existenz, von dem lichten Engel, der ihn aus den Fesseln des Materiellen erlösen wird, dem geflügelten Geist des universalen Frühlings - und er wußte auch, daß ich unter der Erde in der Hölle gefangen war. Hm, denk ich mir, und wieder hmm, als er in seinem Buch zu blättern und zu suchen anfängt und mit seinem Stumpffinger auf die Seiten einsticht, wo ihm gesagt wird, daß Tod und Leben alles eins sind. Und dann gleitet ihm das Buch vom Schoß, so sehr zittert er, und schließlich sagt er mir - errötend, sich verhaspelnd und mit gesenkter Stimme -, daß er glaubt, wenn er seinen Körper mit dem von Azrael, dem Engel des Todes, auf der Schwelle des Frühlings vereinigt, kann er den Tod selbst betrügen und für immer weiter leben, und Flora wird für immer frei von der Winterkälte sein.
    Dies hat er in den sieben Wochen, seit er mich entdeckt hat, durch alle möglichen kabbalistisch-geometrischen Berechnungen bewiesen, deren Schlüsse er mir gerne zeigen will. Aber ich goß mir den Rest des Rotweins ein, ohne ihm etwas anzubieten, und dachte mir, daß zweitausend Guineen noch billig war, und sagte es ihm

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